Die Biene Maja
ist ein ganzer Staat ruchlos vernichtet worden, mit seinen Bauten und seiner Brut, nur weil ein unvernünftiges Tier seine Begierde nach dem Honig stillen wollte.« So hatte ihr Kassandra damals erzählt, und solange sich Maja nicht vom Gegenteil überzeugt hatte, wollte sie an die Wahrheit dieser Worte glauben.
Es war schon Nachmittag geworden, und die Sonne stand hinter den Obstbäumen eines großen Gemüsegartens, den Maja durchflog. Die Bäume waren längst verblüht, aber die kleine Biene entsann sich noch gut, sie alle in ihrem leuchtenden Glanz von unzähligen Blüten gesehen zu haben, die sich heller als das Licht und betörend rein und lieblich gegen den blauen Himmel emporgehoben hatten. Der süße Duft und der lichte Schimmer hatten sie zu einer Seligkeit berauscht, die sie in ihrem Leben niemals vergessen wollte.
Sie dachte nun im Dahinfliegen darüber nach, daß das alles wiederkommen sollte, und ihr Herz wurde weit vor Glück über die Herrlichkeit der großen Erde, auf der sie leben durfte.
Am Ende des Gartens schimmerten die weißen Sternenbüschel des Jasmin, mit ihren zarten gelben Angesichtern, mitten im Strahlenkranz von reinem Weiß. Der sanfte Wind trug ihr den süßen Duft entgegen. Und gab es nicht auch noch Linden, die in dieser Jahreszeit in voller Blüte standen? Und Maja dachte beglückt an die großen, ernsten Linden, in deren Wipfel bis zuletzt das rötliche Glühen der Abendsonne stand.
Sie flog zwischen Brombeerranken hindurch, die schon grüne Beeren angesetzt hatten, aber auch noch Blüten trugen. Als sie wieder empor wollte, um zum Jasmin zu gelangen, legte sich plötzlich etwas Fremdartiges über ihre Stirn und über ihre Schultern, ebenso rasch bedeckte es die Flügel, so daß sie wie gelähmt wurden und Maja in dem seltsamen Wunder dieser fremden Erscheinung das Bewußtsein hatte, plötzlich in ihrem Flug gehemmt zu sein und das Gefühl, zu fallen, kraftlos niederzufallen, als hielte eine heimliche, böse Gewalt ihre Fühler, ihre Beine und ihre Flügel in unsichtbarer Gefangenschaft. Aber sie fiel nicht. Obgleich sie ihre Flügel nicht mehr bewegen konnte, schwebte sie doch, wunderbar weich und zart und nachgiebig hielt es sie, hob sie ein wenig, senkte sie wieder und trieb sie hin und her, als spielte ein sanfter Wind mit einem gelösten Blatt.
Die kleine Maja überkam ein Gefühl von Beängstigung, aber recht fürchten konnte sie sich noch nicht, da sie weder Schmerzen empfand, noch eigentlich ein Unbehagen verspürte. Nur seltsam war es, ganz seltsam, und dahinter lauerte etwas Böses. Sie wollte doch sehn, daß sie weiter kam. Wenn sie sich recht anstrengte, so würde es ihr sicher gelingen.
Da sah sie quer über ihrer Brust einen unendlich feinen, dehnbaren Silberfaden, und als sie rasch und in heißem Schreck danach griff, blieb er an ihrer Hand hängen, klebte fest und ließ sich nicht mehr lösen. Und dort lief ein zweiter Silberfaden über ihre Schulter, zog sich über die Flügel hin und verband sie miteinander, so daß sie sie nicht mehr heben konnte. Und dort und dort, überall in der Luft und über ihren Körper hin liefen diese hellen, glitzernden, klebrigen Fäden.
Die kleine Maja schrie laut auf vor Entsetzen, denn nun hatte sie erkannt, was ihr geschehn war und wo sie sich befand. Sie war im Netz der Spinne.
Ihr Weinen und Rufen scholl laut und angstvoll in die stille sommerliche Runde, in der der Sonnenschein auf goldgrünen Blättern blinkte, in der Insekten hin und her flogen und Vögel sich durch die Luft warfen. Ganz nah duftete der Jasmin im Blau. Dorthin hatte sie gewollt, nun war es mit ihr zu Ende.
Ein kleiner bläulicher Schmetterling, der braune Pünktchen, die wie Kupfer schimmerten, auf seinen Flügeln hatte, kam ganz dicht an Maja vorüber.
»Ach Arme«, rief er, als er das Jammern der kleinen Maja hörte und sie verzweifelt im Netz der Spinne zappeln sah. »Möchte Ihnen der Tod leicht werden, Sie Liebe. Ich kann Ihnen nicht helfen. Auch mich trifft es einmal, vielleicht schon diese Nacht. Aber noch ist es schön für mich. Leben Sie wohl, vergessen Sie die Sonne nicht in Ihrem tiefen Todesschlaf.«
Und er schaukelte weiter, ganz betäubt vom Blühn und von der Sonne und von seiner Lebensseligkeit.
Der kleinen Maja stürzten die Tränen aus den Augen, und sie verlor allen Halt und jede Gefaßtheit. Hin und her stieß sie sich mit ihren gefesselten Flügeln und Beinchen, schrie und summte, so laut sie konnte, und rief um Hilfe und
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