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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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bewegte sich der Zug über die Via Sacra; zunächst fühlte sich Branwyn lediglich deswegen beklommen, weil sie einmal mehr mit der Eitelkeit gewisser Würdenträger der Papstkirche konfrontiert wurde. In ihren Augen war die hemmungslose Prachtentfaltung gotteslästerlich: die herausgeputzten Rösser, auf denen die Priester in ihren protzigen Roben ritten; die Scharen der Choräle singenden Chorknaben und Kapläne mit ihren qualmenden Weihrauchgefäßen, welche jeden einzelnen der hochrangigen Kleriker umringten; schließlich eine Reihe seltsamer Schreine, die von Akoluthen mitgetragen wurden und deren gleißende Oberflächen das Sonnenlicht widerspiegelten.
    Erst als die Prozession direkt an ihr vorüberzog, und die Leute am Straßenrand – so sie nicht rechtzeitig das Weite gesucht hatten – in die Knie sanken und laut zu beten begannen, begriff Branwyn, was es mit den ungewöhnlichen Behältnissen, die in ihrer Form an Sarkophage erinnerten, auf sich hatte. Denn jetzt konnte sie hinter die Glasscheiben an den Seitenflächen der ansonsten von Edelmetall und Juwelen strotzenden Schreine blicken – und die menschlichen Überreste wahrnehmen, die in den Reliquiensärgen lagen.
    Manche der Leichname waren offensichtlich Jahrhunderte alt; die Zeit hatte sie zu beinahe völlig skelettierten Mumien einschrumpfen lassen. Andere Tote schienen erst vor wenigen Jahrzehnten einbalsamiert worden zu sein; ihre Leiber waren weitgehend erhalten und selbst ihre Gesichtszüge manchmal noch kenntlich, doch gerade das wirkte besonders widernatürlich. Damit nicht genug, hatte man die Leichen auf eine Weise ausstaffiert, welche dem blasphemischen Gepränge der sie begleitenden Priesterschaft entsprach. Hier saß eine Bischofsmitra auf einem grinsenden Totenschädel und funkelten Edelsteine in leeren Augenhöhlen; dort waren vom Balsamierungsöl dunkel verfärbte und aufgedunsene Gliedmaßen in silberbestickten Brokat gehüllt; anderswo wieder verbrämten schwere Goldketten, Brustkruzifixe oder Amulette halbverwestes Fleisch.
    Während die Schreine der Heiligen und Märtyrer nur wenige Schritte entfernt auf der Via Sacra vorbeigetragen wurden, mußte Branwyn sich Mühe geben, ihren Ekel und ihre Empörung nicht laut herauszuschreien. Es war ihr absolut unverständlich, inwiefern diese Zurschaustellung von Verstorbenen, die man in abartiger religiöser Verirrung um ihre Grabesruhe gebracht hatte, der Erkenntnis oder Verherrlichung des Göttlichen dienen sollte. Aber trotz ihres Abscheus harrte sie aus; eine Stimme tief in ihrem Inneren befahl ihr, es durchzustehen, um daraus Kraft für ihre eigene Aufgabe zu gewinnen. Als endlich der letzte Reliquiensarg außer Sicht kam, entfernte sie sich hastig. Doch den ganzen restlichen Weg zur Apotheke und dann, nachdem sie die Arznei erstanden hatte, zurück in den Stadtteil Trans Tiberim schien der grauenhafte Anblick sie zu verfolgen.
    Sie fühlte sich erst besser, als sie die Brücke überquert hatte, die jenseits des Capitolhügels über eine inmitten des Stromes gelegene Insel zu jenem Viertel auf dem rechten Tiberufer führte, das ihr im Lauf der vergangenen Monate vertraut geworden war. Während sie durch die Straßen lief, rief der eine oder andere Bewohner ihr einen freundlichen Gruß zu; rasch erreichte sie den Platz vor der Kirche Sancta Maria und bog dahinter in eine Gasse ein, die vor der Gartenpforte eines baumbestandenen Grundstücks endete. Im Schutz der Pinien lag ein niedriges, aber weitläufiges Gebäude: das Hospital, dessen Gründung Calpurnias Verdienst war und das von ihrer Kirchengemeinde unterhalten wurde – und jetzt, da sie es vor sich sah, dachte Branwyn erleichtert, daß hier wahres Christentum lebte.
    Sie fand die Presbyterin am Bett des schwer fiebernden und halb besinnungslosen Arbeiters, für den sie die Medizin besorgt hatte. Als sie Calpurnia die Phiole mit der Arznei zeigte, leuchteten deren Augen auf. Gleich darauf flößten die beiden Frauen dem Leidenden das Tonikum ein; die folgenden Stunden wichen sie nicht von seiner Seite und beobachteten ihn aufmerksam. Tatsächlich besserte sich der Zustand des Mannes gegen Abend; nun nahm sich eine Pflegerin des Patienten an, und Branwyn machte gemeinsam mit der Presbyterin einige Besuche bei verschiedenen Kranken in anderen Räumen.
    Schließlich gingen sie zusammen nach Hause und saßen später noch eine Weile im Atrium zusammen. Dort erzählte Branwyn Calpurnia von dem abstoßenden Erlebnis, das sie am

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