Die Bischöfin von Rom
ich sogar in Versuchung, aufzugeben …«
»Trotzdem hast du durchgehalten und dich nicht unterkriegen lassen!« unterbrach Branwyn.
»Ja, ich habe es geschafft«, erwiderte Calpurnia. »Es wurde möglich dank der Hilfe Gottes – und weil ich im Innersten, ungeachtet aller Anfechtungen, immer auf meine weibliche Stärke baute. So wurde ich, wenn auch nur sehr knapp, gewählt; während der folgenden Jahre dann hatte ich weitere Anfeindungen durchzustehen. Doch im Lauf der Zeit kamen immer mehr Gemeindemitglieder zu der Überzeugung, es sei richtig gewesen, mich zum Altardienst zu berufen, und wenn heute in Sancta Maria abermals eine Priesterwahl anstehen würde, so hätte eine neue Kandidatin es mit Sicherheit bedeutend leichter als ich vor vier Jahrzehnten.«
Branwyn griff nach der Hand der betagten Presbyterin, drückte sie und bekundete leise: »Du hast den Weg für die Frauen bereitet, die nach dir kommen werden!«
»Eine ähnliche Aufgabe – weibliches Denken und Handeln wieder vermehrt in einer zunehmend von Männern beherrschten Welt zu verwurzeln – wurde dir übertragen!« antwortete Calpurnia. »Habe also keine Furcht, dein Los hier in Rom auf dich zu nehmen, denn du besitzt – ich spüre es – größere Kraft als ich und vermagst, sobald erst deine Stunde gekommen ist, ungleich Bedeutenderes zu leisten!«
Branwyn wollte widersprechen, aber die Presbyterin wehrte lächelnd ab, dann fügte sie noch hinzu: »Ehe es jedoch soweit ist, mußt du in das Leben unserer Gemeinde hineinwachsen und darüber hinaus Rom kennenlernen. Und du wirst sehen, wenn du erst Freundinnen und Freunde hier gefunden hast, wird dir auch die Stadt nicht mehr so unheimlich erscheinen wie vorhin, da du, von Unsicherheit befallen, in die Nacht hinausblicktest.«
Sancta Praxedis
Während der folgenden Monate, in denen sie dank der Zuwendung der Presbyterin und ihrer Familie im Atriumhaus heimisch wurde, stürmte eine Fülle neuer Eindrücke und Erfahrungen auf Branwyn ein. Oft hatte sie dabei das Gefühl, sich in zwei völlig verschiedenen Welten gleichzeitig zu bewegen.
Einerseits war da Calpurnias christliche Gemeinde im eher bescheidenen Viertel Trans Tiberim, deren Mitglieder – zumeist einfache Menschen, welche die Verbindung zum ländlichen Umland noch nicht völlig verloren hatten – sich bemühten, die Lehre Jesu so gut wie möglich in ihrem Alltag umzusetzen. Gelegentlich kollidierte der gute Wille dieser Handwerker, Arbeiter, Kleinbauern und ihrer Angehörigen mit dem ungleich anmaßenderen Geist, der in gewissen Stadtteilen jenseits des Stromes herrschte: mit dem Hochmut des imperialen Rom, wo einst die Gottkaiser Augustus, Tiberius, Nero, Vespasian, Domitian oder Hadrian auf dem Thron gesessen hatten. Zwar war die Tiberstadt seit dem Jahr 330, in dem Kaiser Konstantin seine Residenz nach Byzanz verlegt hatte, nicht länger Mittelpunkt des Römischen Reiches, aber noch immer gab es hier ungeheuren Reichtum, hemmungslose Prunksucht und dazu den keinesfalls aus den Evangelien abzuleitenden Machtanspruch, den seit knapp zwei Generationen das Patriarchat erhob.
Mehrmals wurde Branwyn in jenem Frühjahr und Sommer Zeugin, mit welcher Arroganz der hochrangige Klerus selbst jetzt, da Papst Liberius in der Verbannung weilte, auftrat. Sie sah Bischöfe, Erzpriester und Diakone, deren Tuniken mit Gold und Silber bestickt waren und die sich von Sklaven in Sänften durch die Straßen tragen ließen. Mit Peitschen bewaffnete Diener begleiteten die pompösen Tragstühle und scheuchten die Passanten beiseite; manche Bürger fielen vor den Mitgliedern des Patriarchats auf die Knie, andere wandten sich verächtlich ab oder spuckten sogar wütend aus. Großen Unmut empfand Branwyn auch, als sie eines Tages mitbekam, wie eine Horde niedrigerer Kleriker, die allesamt betrunken waren, in ein Bordell einfiel. Von einer empörten Anwohnerin erfuhr sie, daß die Akoluthen sich regelmäßig in dem Freudenhaus zu vergnügen pflegten und es darüber hinaus sogar schon zu Mißhandlungen der käuflichen Frauen gekommen sei.
Eines heißen Julinachmittags wiederum, an dem Branwyn in der Nähe des Esquilinhügels nach einer Apotheke suchte, in der sie eine bestimmte Arznei für einen Kranken aus der Gemeinde von Sancta Maria zu finden hoffte, hatte sie ein zutiefst abstoßendes Erlebnis, das sie nie wieder vergessen sollte. Von Südosten her, wo der Sitz des Patriarchats, der Lateranpalast, lag, näherte sich eine Prozession. Langsam
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