Die Bischöfin von Rom
das?«
»Du wirst es gleich erfahren«, lautete die Antwort. »Doch zunächst laß uns zur Einstimmung einen Rundgang machen.«
Damit führte sie ihre Freundin am Kirchenportal vorbei auf das unbebaute Gelände, das sich rings um das Gotteshaus erstreckte. Das Areal war schütter mit Taxussträuchern und vereinzelten Pinien bewachsen; dazwischen lugten moosbedeckte Überreste von Mauerwerk aus der Erde, und an einer Stelle stand ein zersplitterter marmorner Säulenstumpf. An der Rückseite der Kirche schließlich fiel Branwyns Blick auf einen doppelten Gewölbebogen, dessen Oberteil zwar eingestürzt war, der aber noch immer beinahe Mannshöhe besaß, und nachdem sie an seinem Sockel zudem die Relikte einer Treppe entdeckt hatte, stellte sie erstaunt fest: »Hier scheint es ja tatsächlich einmal einen Palast gegeben zu haben.«
»Das sagte ich doch!« erwiderte Angela. »Die Trümmer, die du hier siehst, stammen vom Sommerpalast jenes Pudens – und jetzt will ich dich auch hinsichtlich seiner Person nicht länger auf die Folter spannen. Er lebte im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt und bekleidete den Rang eines römischen Senators.«
»Er gehörte also zum Hochadel der Stadt?« vergewisserte sich Branwyn.
»Richtig«, nickte die Fünfzehnjährige. »Allerdings war er keiner von denen, die ihre Macht dazu benutzten, um das Volk zu knechten, Intrigen am Kaiserhof zu spinnen oder Kriege vom Zaun zu brechen. Vielmehr zählten er und seine Gemahlin Priscilla zu den allerersten Christen, die es in Rom gab. Es heißt von ihnen, sie hätten nicht nur eine ganze Reihe mildtätiger Werke getan, sondern außerdem sehr gute Kontakte zu gewissen Leuten in Judäa gepflegt …«
»Etwa zu solchen, die Verbindung mit Jesus gehabt hatten?« unterbrach Branwyn hellhörig.
»So besagen es die Überlieferungen«, bestätigte Angela.
»Und um wen genau handelte es sich?« hakte Branwyn nach.
»Unter anderem sollen der Senator und seine Gattin mit Jussuf von Arimathea in Briefwechsel gestanden haben«, erklärte das Mädchen. »Du weißt schon – derselbe, der in Avalon den Dornbaum pflanzte, wie du mir einmal erzähltest, und der auch bei der Kreuzabnahme Jesu zugegen war.«
»Dieser Jerusalemer Adlige muß einer der außergewöhnlichsten Menschen seiner Zeit gewesen sein«, murmelte Branwyn.
»Das war er bestimmt«, pflichtete Angela ihr bei. »Aber nicht weniger bedeutend war ein anderer Jude aus dem Freundeskreis von Pudens und Priscilla – und dieser Mann weilte nur wenige Jahre nach der Kreuzigung sogar in Rom …«
»Von wem redest du?« fiel ihr Branwyn neuerlich ins Wort.
»Komm mit, dann kannst du Auge in Auge Zwiesprache mit ihm halten«, entgegnete die Fünfzehnjährige mit geheimnisvollem Lächeln und geleitete ihre Gefährtin zurück zum Portal von Sancta Praxedis.
Sie betraten einen Raum, dessen Stimmung Branwyn sofort als angenehm empfand. Das Halbrund des nicht sonderlich hohen Tonnengewölbes mit seinen weichen Linien und harmonischen Proportionen vermittelte ihr ein Gefühl von Geborgenheit; behütende Kraft schien aus den Wänden zu strömen und ihr Inneres zu berühren. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, während sie Angela langsam nach vorne folgte. Durch die getönte Scheibe eines Rundfensters in der Apsis fiel ein breiter rotgoldener Lichtstrahl auf den Altar; es war, als würde der ovale, archaisch anmutende Sakralstein aus sich selbst heraus leuchten – und ein Widerschein davon lag auf dem Mosaikbildnis an der Rückwand des Altarraumes.
Das Kunstwerk zeigte eine eindrucksvolle Männergestalt in Lebensgröße. In gelöster Haltung stand der Fischer, der in der einen Hand ein Netz hielt und die andere segnend erhoben hatte, da. Sein bärtiges, zerfurchtes Antlitz war das eines einfachen, hart arbeitenden Menschen; gleichzeitig aber drückten die großen, strahlenden Augen höheres Bewußtsein aus: unverbrüchliches Wissen um den alles irdische Dasein durchdringenden göttlichen Geist.
Lange und selbstvergessen betrachtete Branwyn das Bildwerk, endlich flüsterte sie: »Der Künstler, der dies schuf, war dem Adonai zweifellos sehr nahe und besaß zudem tiefes Verständnis für die Person, die er darstellte.«
»Ja, fast könnte man glauben, er sei Simon Kephas noch zu dessen Lebzeiten begegnet«, erwiderte Angela. Im nächsten Moment, weil sie Branwyns fragenden Blick bemerkte, setzte sie hinzu: »Simon Kephas – oder Petrus, wie sein römischer Name lautet.«
»Er war also
Weitere Kostenlose Bücher