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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Ehepaare oder verwitwete Frauen und Männer – betreuten die Jugendlichen in ihrer Freizeit und versuchten ihnen die Zuwendung zu schenken, die sie früher nicht gekannt hatten.
    Gerade diese Fürsorge erschien Branwyn besonders wichtig; deshalb fand sie sich mehrmals pro Woche bei den Waisen ein, um ihnen seelische Hilfestellung mit ungewöhnlichen Mitteln zu geben. Sie organisierte sportliche Wettkämpfe, bei denen ihre Schützlinge sich auf friedliche Art austoben konnten und zudem Gemeinschaftsverhalten lernten. Großen Erfolg hatte sie mit einem heiteren Theaterstück, das sie zusammen mit den Kindern schrieb, einstudierte und an einem Sonntagnachmittag im Garten des Hospitals aufführte, wodurch auch die nicht bettlägerigen Kranken in den Genuß der kleinen Komödie kamen.
    Noch begeisterter waren die Waisen gegen Ende des Sommers, als Branwyn für sie eine Ausflugsfahrt auf dem Tiber organisierte. Die Flußfischer, die zu diesem Zweck ein halbes Dutzend Kähne zur Verfügung gestellt hatten, ruderten die ausgelassene Gesellschaft zunächst stromabwärts am Porticus Aemilia und der Horrea Galbae, einem Ensemble riesiger, kurz nach Christi Geburt errichteter Markthallen, vorbei und sodann ungefähr zwanzig Meilen weiter nach Südwesten bis zum römischen Meerhafen Ostia. Hier lagen hochseetüchtige Schiffe aus den verschiedensten Mittelmeerländern vor Anker; die Ladung einer ägyptischen Galeere, die Getreide für die Millionenstadt an Bord hatte, wurde bei der Ankunft der Ausflügler soeben gelöscht. Branwyn und die anderen sahen, wie die Schauerleute Sack um Sack von Bord schleppten und die wertvolle Fracht auf Schaluppen mit geringem Tiefgang umluden, welche das Getreide weiter flußaufwärts bringen sollten.
    Die Bootsfahrt nach Portus Augusti, wie die Römer den Seehafen auch nannten, hatte etwa drei Stunden gedauert, so daß genügend Zeit blieb, ein Picknick auf einer flachen, der Strommündung vorgelagerten Insel zu veranstalten und anschließend im Meer zu schwimmen, ehe es Zeit wurde, den Heimweg anzutreten. Kurz vor Sonnenuntergang legten die Kähne wieder am Strand von Trans Tiberim an; die Fischer lobten die älteren Burschen, die sie beim Rudern gegen die Strömung kräftig unterstützt hatten, und noch lange danach schwärmten die Waisen von den Erlebnissen dieses Tages.
    Branwyn fand Erfüllung dank der vielfältigen Aufgaben, denen sie sich in Sancta Maria widmete. Das gute Verhältnis zu ihren Hausgenossen kam hinzu; längst waren Angela und sie Freundinnen geworden, und auch mit den Eltern des aufgeweckten Mädchens verstand sie sich prächtig. Am engsten jedoch fühlte sie sich mit Calpurnia verbunden; dies hing wohl damit zusammen, daß die Presbyterin in ihrer Art anderen Frauen ähnelte, die Branwyn gekannt und geliebt hatte: Kigva und Arawn auf der Ynys Vytrin, welche einst Mutter- und Großmutterstelle an ihr vertreten hatten, oder Bendigeida und Alba, die in Avalon wie ältere Schwestern zu ihr gewesen waren.
    Angela hingegen erinnerte sie in ihrer überschäumenden und unkomplizierten Art oft an Dyara, die jüngste der Druidinnen im Apfelhain. Mit ihr war Branwyn häufig auf der Ynys Avallach unterwegs gewesen; jetzt wanderte sie, wann immer ihre Pflichten es zuließen, mit der Enkelin Calpurnias nicht weniger gern durch die Straßen Roms. Nach und nach zeigte Angela ihr die Sehenswürdigkeiten der Stadt: die Paläste, Tempel, christlichen Sakralbauten und öffentlichen Bäder, dazu die ausgedehnten Parkanlagen und schön gestalteten Plätze mit ihren schier zahllosen Brunnen. Zumeist wußte Angela heitere oder spannende Geschichten zu erzählen, die sich an diesen Orten abgespielt hatten – und auch an einem bewölkten, aber noch warmen Tag Mitte Oktober, an dem sie ein nach außen hin eher unscheinbares Gotteshaus aufsuchten, war dies so.
    ***
    Die kleine Kirche Sancta Praxedis stand am Nordrand des Esquilinhügels; ein Stück entfernt und tiefer im Tal war die wuchtige, von einem Giebelkreuz überragte Fassade der Basilika Sancta Maria Maiora zu erkennen.
    Angela und Branwyn hatten die Erhöhung auf einem steilen Steig erklommen. Jetzt, als sie auf dem Vorplatz von Sancta Praxedis standen, äußerte Angela ein wenig außer Atem: »Jedes Mal, wenn ich glücklich hier oben angekommen bin … frage ich mich, warum dieser … puh … Pudens seinen Sommerpalast nicht an einer besser zugänglichen Stelle errichten konnte …«
    »Pudens?« erkundigte sich Branwyn. »Wer war

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