Bärenkind - Bär, D: Bärenkind
Endlich frei
Es war das gewohnte Bild. Beide lagen auf dem Sofa, der Vater auf dem „Kleinen“ und die Mutter auf dem „Großen“. Der Fernseher lief. „Ich habe mit Oma gesprochen. Ich werde so schnell wie möglich bei ihr einziehen, jetzt wo eine der drei Wohnungen frei geworden ist.“ Die Eltern blickten zu ihr auf. Die Mutter schaute als ob ihr jemand einen Schlag verpasst hätte. „Wie bist du denn darauf gekommen?“ Daniela gab ihr keine Antwort. Sie sah in das Gesicht des Vaters. Er sagte nichts, starrte auf den Fernseher. Sie war sich sicher, dass er genau wusste warum sie ausziehen wollte und das es jetzt in ihm brodelte, aber es kam keine Reaktion von ihm, nichts ungewohntes für Daniela. Auch den Blick der Mutter kannte sie sehr gut. Eine Mischung aus „Geh doch, hau doch ab“ und „Wie erkläre ich das den Nachbarn?“ Neunzehn Jahre lang hat sie dieses Gesicht zu lesen, zu interpretieren, die Mimik einzuordnen versucht. Jetzt war ihre Mutter wie ein offenes Buch für sie.
Scheinbar war alles gesagt. Daniela drehte sich um und verließ das Wohnzimmer mit einem Gefühl von unendlicher Erleichterung, Freude, aber auch Schmerz. Schmerz, weil sie ihren Vater zurücklassen musste. Sie wünschte sich, dass er vielleicht doch irgendwann die Kraft und den Mut haben würde sich endlich von seiner Frau zu trennen. Denn er litt ebenfalls, auch wenn er mit großer Anstrengung versuchte es zu verbergen. Daniela spürte das und sah es in seinen Augen, sie erzählten eine traurige Geschichte.
Dennoch begann sie voller Vorfreude auf den Auszug dieersten Sachen zu packen. Dabei gingen ihr viele Dinge durch den Kopf. Das ersparte Geld sollte reichen um ein paar Möbel zu kaufen. Aber als allererstes brauchte sie ein Geschenk für ihre Großmutter, die Frau, der sie so viel zu verdanken hatte, auch wenn ihrer Oma das nicht bewusst war.
Die zwei Zimmer waren schnell gestrichen, denn Danielas beste Freundin Nadine half ihr dabei. Auch die Möbel trafen bald ein und so hatte sie endlich ihr eigenes kleines Reich.
Bisher musste sie sich ein Zimmer mit ihrer jüngeren Schwester teilen. Das empfand sie nicht als unangenehm, aber die eigenen vier Wände ließen mehr Raum um sich zu entfalten, auch wenn dieses kleine Reich nur aus zwei Zimmern auf dem Dachboden des Hauses ihrer Großeltern bestand.
Daniela stellte sich in die Mitte des Wohnzimmers, machte die Augen zu, drehte sich mit ausgebreiteten Armen einige Male um die eigene Achse und genoss diesen Augenblick. Niemand hier, der sie beobachtete, sie verachtend ansah und alles was sie tat mit abwertenden Worten kommentierte. Jetzt konnte es anfangen, das Leben, das neue Leben.
Mit ihrer Großmutter verstand sich Daniela bestens. Sie blickte zu dieser Frau auf, sie war stark, hatte viel erlebt und war durch und durch ein positiver Mensch. Mit ihr konnte sie über alles reden, nur über das eine nicht. Die Angst war einfach zu groß.
Sie beschloss, nachdem sie ihre Lehre abgeschlossen hatte und keine Arbeit fand, das Fachabitur zu machen. Nebenbei arbeitete sie als Pizzabotin in der nächstenStadt und verdiente sich damit ein wenig Geld. So war Danielas neues Leben. Die Schule, die sie mal mehr mal weniger ernst nahm, der Job beim Italiener und jedes Wochenende unterwegs mit ihrer besten Freundin. Nach dem Fachabitur bekam Daniela einen festen Arbeitsplatz. Jetzt war alles perfekt.
Bis zu dem Tag an dem Daniela sich plötzlich wieder an alles erinnerte.
1
Keine Tränen
Daniela stand da und weinte. Sie schaute ängstlich in das Gesicht ihrer Mutter. „Ich muss sehr sehr böse gewesen sein“, dachte sie „sonst hätte Mama das nicht gemacht.“ Ihre linke Wange tat weh und wurde ganz heiß. Fast hätte sie die Wucht des Schlages gegen den Türrahmen stoßen lassen, aber Daniela konnte sich noch abfangen. Sie fing an zu weinen. „Ich habe doch nichts gemacht, hätte ich hier nicht stehen dürfen?“, fragte sie sich. Laut hätte sie es niemals auszusprechen gewagt. „Nun hör auf zu heulen, sonst kriegst du gleich noch eine!“ Sie wusste, dass es ihre Mutter ernst meinte. Mit aller Kraft versuchte sie die Tränen zu unterdrücken. „Nicht weinen, du darfst nicht weinen. Nichts tun damit Mama nicht noch böser wird“, dachte sie. Alles in ihr verkrampfte sich. „Geh mir aus den Augen!“, schrie die Mutter und holte erneut aus. Schnell ging Daniela in ihr Zimmer, schloss die Tür und setzte sich auf den Boden. Sie weinte leise. Sie durfte nichts tun was
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