Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
langsam flußabwärts glitt, wurde auf mehreren Ämtern viel Papier beschrieben. Da gab es die Militärakte des Joseph Koljaiczek, gemeiner Kanonier im soundsovielten westpreußischen Feldartillerieregiment.
    Zweimal drei Tage mittleren Arrest hatte der üble Kanonier wegen im Zustand der Trunkenheit lauthals geschrieener, halb polnischer, halb deutscher Sprache zugeordneter anarchistischer Parolen absitzen müssen. Schandflecke waren das, die in den Papieren des Gefreiten Wranka, gedient beim zweiten Leibhusarenregiment in Langfuhr, nicht zu entdecken waren. Rühmlich hervorgetan hatte sich der Wranka, war dem Kronprinzen als Bataillonsmelder beim Manöver angenehm aufgefallen, hatte von jenem, der immer Taler in der Tasche trug, einen Kronprinzentaler geschenkt bekommen.
    Letzterer Taler war jedoch nicht in der Militärakte des Gefreiten Wranka vermerkt, den gestand vielmehr laut jammernd meine Großmutter Anna, als sie mit ihrem Bruder Vinzent verhört wurde.
    Nicht nur mit jenem Taler bekämpfte sie das Wörtchen Brandstifter. Papiere konnte sie vorzeigen, die mehrmals besagten, daß Joseph Wranka schon im Jahre nullvier der Freiwilligen Feuerwehr Danzig-Niederstadt beigetreten und während der Wintermonate, da alle Flößer Pause machten, als Feuerwehrmann manch kleinem und großem Brand begegnet war. Auch eine Urkunde gab es, die bekundete, daß der Feuerwehrmann Wranka während des Großbrandes im Eisenbahnhauptwerk Troyl, anno nullneun, nicht nur gelöscht, sondern auch zwei Schlosserlehrlinge gerettet hatte. Ähnlich sprach der als Zeuge geladene Hauptmann der Feuerwehr Hecht. Der gab zu Protokoll: »Wie soll der Brandstifter sein, der da löscht! Seh ich ihn nicht immer noch auf der Leiter, da die Kirche in Heubude brannte? Ein Phönix aus Asche und Flamme tauchend, nicht nur das Feuer, den Brand dieser Welt und den Durst unseres Herrn Jesus löschend! Wahrlich ich sage Euch: Wer da den Mann mit dem Feuerwehrhelm, der die Vorfahrt hat, den die Versicherungen lieben, der immer ein wenig Asche in der Tasche trägt, sei es zum Zeichen, sei's von Berufs wegen, wer ihn, den herrlichen Phönix einen roten Hahn heißen will, er verdient, daß man ihm einen Mühlstein um den Hals ...«
    Sie werden es bemerkt haben, der Hauptmann Hecht der freiwilligen Feuerwehr war ein wortgewaltiger Pfarrer, stand Sonntag für Sonntag auf der Kanzel seiner Pfarrkirche St. Barbara auf Langgarten und verschmähte es nicht, solange die Untersuchungen gegen Koljaiczek-Wranka betrieben wurden, mit ähnlichen Worten Gleichnisse vom himmlischen Feuerwehrmann und dem höllischen Brandstifter seiner Gemeinde einzuhämmern.
    Da jedoch die Beamten der Kriminalpolizei nicht in Sankt Barbara zur Kirche gingen, auch aus dem Wörtchen Phönix eher eine Majestätsbeleidigung denn eine Rechtfertigung des Wranka herausgehört hätten, wirkte sich Wrankas Tätigkeit als freiwilliger Feuerwehrmann belastend aus.
    Zeugnisse verschiedener Sägereien, Beurteilungen der Heimatgemeinden wurden eingeholt: Wranka erblickte in Tuchel das Licht dieser Welt; Koljaiczek war ein geborener Thorner. Kleine Unstimmigkeiten bei den Aussagen älterer Flößer und entfernter Familienangehöriger. Der Krug ging immer wieder zum Wasser; was blieb ihm übrig, als zu brechen. Als die Verhöre soweit gediehen waren, erreichte das große Floß gerade das Reichsgebiet und wurde ab Thorn unauffällig kontrolliert und bei den Anlegeplätzen beschattet.
    Meinem Großvater fielen erst hinter Dirschau seine Beschatter auf. Er hatte sie erwartet. Eine ihm zeitweilig anhaftende Trägheit, die an Schwermut grenzte, mag ihn daran gehindert haben, bei Letzkau etwa oder Käsemark einen Ausbruchversuch zu wagen, der in so vertrauter Gegend mit Hilfe einiger ihm gewogener Flißacken noch möglich gewesen wäre. Ab Einlage, als sich die Flöße langsam und einander stoßend in die Tote Weichsel schoben, lief auffällig unauffällig ein Fischerkutter, der viel zu viel Besatzung an Bord hatte, neben den Flößen her. Kurz hinter Plehnendorf schössen die beiden Motorbarkassen der Hafenpolizei aus dem Schilfufer und rissen, beständig kreuz und quer hetzend, das immer brackiger den Hafen ankündigende Wasser der Toten Weichsel auf. Hinter der Brücke nach Heubude begann die Absperrkette der »Blauen«. Holzfelder gegenüber der Klawitterwerft, die kleineren Bootswerften, der immer breiter werdende, zur Mottlau hindrängende Holzhafen, die Anlegebrücken verschiedener Sägereien, die Brücke

Weitere Kostenlose Bücher