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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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der eigenen Firma mit den wartenden Angehörigen und überall »Blaue«, nur drüben bei Schichau nicht, da war alles geflaggt, da war etwas anderes los, da solltewohl etwas vom Stapel laufen, da war viel Volk, das regte die Möwen auf, da wurde ein Fest gegeben — ein Fest für meinen Großvater?
    Erst als mein Großvater den Holzhafen voller blau Uniformierter sah, als die Barkassen immer unheilverkündender ihren Kurs nahmen und Wellen über die Flöße warfen, erst als er den ganzen kostspieligen Aufwand begriff, der ihm zuteil wurde, da erst erwachte sein altes Koljaiczeksches Brandstifterherz, und er spuckte den sanften Wranka aus, entschlüpfte dem freiwilligen Feuerwehrmann Wranka, sagte sich lauthals und ohne Stocken vom stotternden Wranka los und floh, floh über die Flöße, floh über weite, schwankende Flächen, barfuß über ein ungehobeltes Parkett, von Langholz zu Langholz Schichau entgegen, wo die Fahnen lustig im Winde, über Hölzer vorwärts, wo etwas auf Stapel lag, Wasser hat dennoch Balken, wo sie die schönen Reden hielten, wo niemand Wranka rief oder gar Koljaiczek, wo es hieß: Ich taufe dich auf den Namen SMS Columbus, Amerika, über vierzigtausend Tonnen Wasserverdrängung, dreißigtausend PS, Seiner Majestät Schiff, Rauchsalon erster Klasse, zweiter Klasse Backbordküche, Turnhalle aus Marmor, Bücherei, Amerika, Seiner Majestät Schiff, Wellentunnel, Promenadendeck, Heil dir im Siegerkranz, die Göschflagge des Heimathafens, Prinz Heinrich steht am Steuerrad und mein Großvater Koljaiczek barfuß, die Rundhölzer kaum noch berührend, der Blasmusik entgegen, ein Volk das solche Fürsten hat, von Floß zu Floß, jubelt das Volk ihm zu, Heil dir im Siegerkranz, und alle Werftsirenen und die Sirenen der im Hafen liegenden Schiffe, der Schlepper und Vergnügungsdampfer, Columbus, Amerika, Freiheit und zwei Barkassen vor Freude irrsinnig neben ihm her, von Floß zu Floß, seiner Majestät Flöße und schneiden ihm den Weg ab und machen den Spielverderber, so daß er stoppen muß, wo er so schön im Schwung war, und steht ganz einsam auf einem Floß und sieht schon Amerika, da sind die Barkassen längsseits, da muß er sich abstoßen — und schwimmen sah man meinen Großvater, auf ein Floß schwamm er zu, das in die Mottlau glitt. Und mußte tauchen wegen Barkassen und unten bleiben wegen Barkassen, und das Floß schob sich über ihn und wollte nicht mehr aufhören, gebar immer ein neues Floß: Floß von deinem Floß, in alle Ewigkeit: Floß.
    Die Barkassen stellten ihre Motoren ab. Unerbittliche Augenpaare suchten auf der Wasseroberfläche.
    Doch Koljaiczek hatte sich endgültig verabschiedet, hatte sich der Blechmusik, den Sirenen, den Schiffsglocken und Seiner Majestät Schiff, der Taufrede des Prinzen Heinrich und den irrsinnigen Möwen Seiner Majestät, hatte sich Heil dir im Siegerkranz und der Schmierseife Seiner Majestät für den Stapellauf Seiner Majestät Schiff, hatte sich Amerika und der »Columbus«, hatte sich allen Nachforschungen der Polizei unter dem endlosen Holz entzogen.
    Man hat die Leiche meines Großvaters nie gefunden. Ich, der ich fest daran glaube, daß er unter dem Floß seinen Tod schaffte, muß mich, um glaubwürdig zu bleiben, hier dennoch bequemen, all die Versionen wunderbarer Rettungen wiederzugeben.
    Da hieß es, er habe unter dem Floß eine Lücke zwischen den Hölzern gefunden; von unten her gerade groß genug, um die Atmungsorgane über Wasser halten zu können. Nach oben hin soll sich die Lücke dergestalt verengt haben, daß es den Polizisten, die bis in die Nacht hinein die Flöße und sogar die Schilfhütten auf den Flößen absuchten, unsichtbar blieb. Dann, im Schutz der Dunkelheit — so hieß es weiter — habe er sich treiben lassen, habe zwar erschöpft, doch mit einigem Glück das andere Mottlauufer und das Gelände der Schichauwerft erreicht, habe dort im Schrottlager Unterschlupf gefunden und sei später, wahrscheinlich mit Hilfe griechischer Matrosen, auf einen jener schmierigen Tanker gelangt, die schon manch einem Flüchtling Schutz geboten haben sollen.
    Andere behaupteten: Koljaiczek, der ein guter Schwimmer mit einer noch besseren Lunge war, unterschwamm nicht nur das Floß; auch die beträchtliche restliche Breite der Mottlau durchtauchte er, schaffte mit Glück das Festgelände der Schichauwerft, mischte sich dort, ohne Aufsehen zu erregen, unter die Werftarbeiter und schließlich unters begeisterte Volk, sang mit dem Volk »Heil

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