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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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    Auf meine Frage hin — ich stellte sie zwanglos, betont gelangweilt — drehte Klepp mißmutig den Kopf über verfettetem Hals, knöpfte sich auf und zu, machte Schwimmbewegungen und tat so, als wäre er unter dem Floß. Schließlich schüttelte er meine Frage ab und gab dem zu frühen Nachmittag die Schuld an der ausbleibenden Antwort.
    Vittlar hielt sich steif, schlug die Beine, dabei den Bügelfalten Sorge tragend, übereinander, zeigte jenen feingestreiften, bizarren Hochmut, der nur noch Engeln im Himmel geläufig sein mag: »Ich befinde mich auf dem Floß. Hübsch ist es auf dem Floß. Mücken stechen mich, das ist lästig. — Ich befinde mich unter dem Floß. Hübsch ist es unter dem Floß. Keine Mücke sticht mich, das ist angenehm. Es ließe sich, glaube ich, leben unter dem Floß, wenn man nicht gleichzeitig die Absicht hätte, auf dem Floß weilend sich von Mücken stechen zu lassen.«
    Vittlar machte seine bewährte Pause, musterte mich, hob dann, wie immer, wenn er einer Eule gleichen will, seine von Natur aus schon hohen Augenbrauen und betonte scharf theatralisch: »Ich nehme an, daß es sich bei dem Ertrunkenen, bei dem Mann unter dem Floß, um deinen Großonkel, wenn nicht sogar Großvater handelte. Da er sich als Großonkel und in weit größerem Maße als Großvater dir gegenüber verpflichtet fühlte, ist er zu Tode gekommen; denn nichts wäre dir lästiger, als einen lebenden 'Großvater zu haben. Du bist nicht nur der Mörder deines Großonkels, du bist der Mörder deines Großvaters! Da jener dich jedoch, wie es jeder echte Großvater gerne tut, ein wenig strafen wollte, ließ er dir nicht die Genugtuung eines Enkelkindes, das auf eine aufgedunsene Wasserleiche stolz hinweist und Worte gebraucht wie: Seht meinen toten Großvater. Er war ein Held!
    Er ging ins Wasser, als sie ihn verfolgten. — Dein Großvater unterschlug der Welt und seinem Enkelkind die Leiche, damit sich die Nachwelt und das Enkelkind noch lange mit ihm befassen mögen.«
    Dann, aus einem Pathos ins andere springend, ein listiger, leicht vorgebeugter, Versöhnung gaukelnder Vittlar: »Amerika, freue dich, Oskar! Du hast ein Ziel, eine Aufgabe. Man wird dich hier freisprechen, entlassen. Wohin, wenn nicht nach Amerika, wo man alles wiederfindet, selbst seinen verschollenen Großvater!«
    So höhnisch und anhaltend verletzend die Antwort Vittlars auch sein mochte, gab sie mir dennoch mehr Gewißheit, als das zwischen Tod und Leben kaum unterscheidende Geraunze meines Freundes Klepp oder die Antwort des Pflegers Bruno, der den Tod meines Großvaters nur deshalb einen schönen Tod nannte, weil kurz nach ihm »SMS Columbus« vom Stapel lief und Wellen machte. Da lobe ich mir doch Vittlars Großväter konservierendes Amerika, das angenommene Ziel, das Vorbild, an dem ich mich aufrichten kann, wenn ich europasatt die Trommel und Feder aus der Hand geben will: »Schreib weiter Oskar, tu es für deinen schwerreichen, aber müden, in Buffalo,USA,Holzhandel treibenden Großvater Koljaiczek, der im Inneren seines Wolkenkratzers mit Streichhölzern spielt!«
    Als sich Klepp und Vittlar verabschiedeten und endlich gingen, wies Bruno durch kräftiges Lüften allen störenden Geruch der Freunde aus dem Zimmer. Darauf nahm ich wieder meine Trommel, trommelte aber nicht mehr die Hölzer todverdeckender Flöße ab, sondern schlug jenen schnellen, sprunghaften Rhythmus, dem alle Menschen vom August des Jahres vierzehn an gehorchen mußten.
    So wird es sich nicht vermeiden lassen, daß auch mein Text, bis zur Stunde meiner Geburt, nur andeutend den Weg jener Trauergemeinde nachzeichnen wird, welche mein Großvater in Europa zurückließ.
    Als Koljaiczek unter dem Floß verschwand, ängstigten sich zwischen den Angehörigen der Flößer auf der Anlegebrücke der Sägerei meine Großmutter mit ihrer Tochter Agnes, Vinzent Bronski und dessen siebzehnjähriger Sohn Jan. Etwas abseits stand Gregor Koljaiczek, der ältere Bruder des Joseph, den man anläßlich der Verhöre in die Stadt gerufen hatte. Jener Gregor hatte vor der Polizei allzeit dieselbe Antwort bereitzuhalten gewußt: »Kenne ja meinen Bruder kaum. Weiß im Grunde nur, daß er Joseph heißt, und als ich ihn letztes Mal sah, war er vielleicht zehn oder sagen wir, zwölf. Die Schuhe hat er mir geputzt und Bier geholt, falls Mutter und ich Bier wollten.«
    Wenn sich auch herausstellte, daß meine Urgroßmutter eine Biertrinkerin war, konnte der Polizei mit der Antwort des

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