Die Blechtrommel
Greff, mochte mich nicht. Ich habe auch später, als Greff mir die Trommelmaschine baute, Greff nicht gemocht. Selbst heute, da Oskar für solch anhaltende Antipathien kaum die Kraft aufbringt, mag ich Greff nicht besonders, auch wenn es ihn gar nicht mehr gibt.
Greff war Gemüsehändler. Doch lassen Sie sich nicht täuschen. Weder an Kartoffeln glaubte er noch an Wirsingkohl, besaß aber dennoch umfassende Kenntnisse im Gemüseanbau, gab sich gerne als Gärtner, Naturfreund, Vegetarier. Doch gerade weil Greff kein Fleisch aß, war er kein echter Gemüsehändler. Es war ihm unmöglich, von Feldfrüchten wie von Feldfrüchten zu sprechen.
»Betrachten Sie bitte diese außergewöhnliche Kartoffel«, hörte ich ihn oftmals zu seinen Kunden sagen. »Dieses schwellende, strotzende, immer wieder neue Formen erdenkende und dennoch so keusche Fruchtfleisch. Ich liebe die Kartoffel, weil sie zu mir spricht!« Natürlich darf ein echter Gemüsehändler niemals so sprechen und die Kundschaft in Verlegenheit bringen. Meine Großmutter Anna Koljaiczek, die ja zwischen Kartoffeläckern alt wurde, hat selbst während der besten Kartoffeljahre nie mehr über die Lippen gebracht als ein Sätzchen wie dieses: »Na dies Jahr sind de Bulven ahn beßchen greßer als vorjes Jahr.« Dabei waren Anna Koljaiczek und ihr Bruder Vinzent Bronski viel mehr auf die Kartoffelernte angewiesen als der GemüsehändlerGreff, dem ein gutes Pflaumenjahr ein schlechtes Kartoffeljahr wettzumachen pflegte.
Alles an Greff war übertrieben. Mußte er unbedingt eine grüne Schürze im Laden tragen? Welch eine Anmaßung, den spinatgrünen Latz der Kundschaft gegenüber lächelnd und weise tuend »Des lieben Gottes grüne Gärtnerschürze« zu nennen. Dazu kam, daß er die Pfadfinderei nicht lassen konnte. Zwar hatte er achtunddreißig schon seinen Verein auflösen müssen — den Bengels hatte man braune Hemden und die kleidsamen schwarzen Winteruniformen verpaßt — dennoch kamen die ehemaligen Pfadfinderiche in Zivil oder in neuer Uniform häufig und regelmäßig zu ihrem ehemaligen Oberpfadfinder, um mit jenem, der vor seiner, vom lieben Gott geliehenen Gärtnerschürze eine Gitarre zupfte, Morgenlieder, Abendlieder, Wanderlieder, Landsknechtlieder, Erntelieder, Marienlieder, inund ausländische Volkslieder zu singen. Da Greff noch rechtzeitig Mitglied des NSKK geworden war und sich ab einundvierzig nicht nur Gemüsehändler, sondern auch Luftschutzwart nannte, sich außerdem auf zwei ehemalige Pfadfinder berufen durfte, die es inzwischen im Jungvolk zu etwas gebracht hatten, Fähnleinführer und Stammführer waren, konnte man von der HJ-Gebietsleitung aus die Liederabende in Greffs Kartoffelkeller als erlaubt bezeichnen. Auch wurde Greff vom Gauschulungsleiter Löbsack aufgefordert, während Gebietsschulungskursen in der Gauschulungsburg Jenkau Liederabende zu veranstalten. Mit einem Volksschullehrer zusammen erhielt Greff Anfang Vierzig den Auftrag, für den Reichsgau Danzig - Westpreußen ein Jugendliederbuch unter dem Motto »Sing mit!« zusammenzustellen. Das Buch wurde sehr gut. Der Gemüsehändler erhielt einen Brief aus Berlin, der vom Reichsjugendführer signiert war, und wurde nach Berlin zu einem Singleitertreffen eingeladen.
Greff war also ein patenter Mann. Nicht nur, daß er von allen Liedern auch alle Strophen wußte; Zelte konnte er bauen, Lagerfeuer so entfachen und löschen, daß keine Waldbrände entstanden, er marschierte zielstrebig nach dem Kompaß, nannte alle sichtbaren Sterne beim Vornamen, schnurrte lustige und abenteuerliche Geschichten herunter, kannte die Sagen des Weichsellandes, hielt Heimabende unter dem Titel »Danzig und die Hanse«, zählte alle Hochmeister des Ritterordens mit den dazu gehörenden Daten auf, begnügte sich aber nicht damit, sondern wußte auch allerlei über die Sendung des Deutschtums im Ordensland zu berichten und flocht nur ganz selten ein markantes Pfadfindersprüchlein in seine Vorträge.
Greff liebte die Jugend. Er liebte die Knaben mehr als die Mädchen. Eigentlich liebte er die Mädchen überhaupt nicht, liebte nur die Knaben. Oftmals liebte er die Knaben mehr, als es sich durch das Absingen von Liedern ausdrücken ließ. Mag sein, daß ihn seine Frau, die Greffsche, eine Schlampe mit immer speckigem Büstenhalter und durchlöcherten Schlüpfern zwang, zwischen drahtigen und blitzsauberen Buben der Liebe reineres Maß zu suchen. Es konnte aber auch eine andere Wurzel jenes Baumes gegraben
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