Die Blechtrommel
und er sagte, wie vor dem Läuten wieder gegen sie arbeitend: »Jetzt is dreiviertel.« Und dann wollte er von ihr wissen, ob es so gut sei, wie er es mache. Sie bejahte die Frage mehrmals und bat ihn, vorsichtig zu sein. Er versprach ihr, ganz bestimmt vorsichtig zu sein. Sie befahl ihm, nein, legte ihm ans Herz, diesmal besonders aufzupassen. Dann erkundigte er sich, ob es bei ihr bald soweit sei.
Und sie sagte: gleich ist soweit. Da hatte sie wohl einen Krampf in jenem Fuß, der ihr von der Chaiselongue hing, denn sie stieß den in die Zimmerluft, doch die Schlüpfer blieben dran hängen. Da biß er wieder ins Sammetkissen, und sie schrie: geh weg, und er wollte auch weg, doch dann konnte er nicht mehr weg, weil Oskar drauf war auf den Beiden, bevor er weg war, weil ich ihm die Trommel ins Kreuz und die Stöcke aufs Blech schlug, weil ich das nicht mehr hören konnte: weg und geh weg, weil mein Blech lauter war als ihr weg, weil ich das nicht duldete, daß er weg ging, genau wie Jan Bronski immer von Mama weggegangen war; denn Mama hatte auch immer weg gesagt, zu Jan, weg, zu Matzerath, weg. Und dann waren sie auseinandergefallen, und den Rotz ließen sie irgendwohin klatschen, auf ein Tuch extra dafür, oder wenn das nicht greifbar, auf die Chaiselongue, auf den Teppich womöglich. Ich aber konnte das nicht ansehen. Schließlich war ja auch ich nicht weggegangen. Und ich war der erste, der nicht wegging, deshalb bin ich der Vater und nicht jener Matzerath, der immer und bis zuletzt glaubte, er sei mein Vater. Dabei war das Jan Bronski. Und das hab ich von Jan geerbt, daß. ich vor dem Matzerath nicht wegging, daß ich drinnenblieb, drinnenließ; und was rauskam, das war mein Sohn, nicht sein Sohn! Der hatte überhaupt keinen Sohn! Das war gar kein richtiger Vater! Auch wenn er zehnmal die arme Mama geheiratet hat, und auch Maria geheiratet hat, weil sie schwanger war. Und er dachte, die Leute im Haus und auf der Straße, die denken sicher.
Natürlich dachten die, der Matzerath habe die Maria dickgemacht und heirate sie jetzt, wo sie siebzehneinhalb ist, und er ist an die fünfundvierzig. Aber sie ist ja tüchtig für ihr Alter, und was den kleinen Oskar angeht, der kann sich freuen über die Stiefmutter, denn die Maria ist nicht wie eine Stiefmutter zu dem armen Kind, sondern wie eine richtige Mutter, obgleich das Oskarchen nicht ganz klar im Kopf ist und eigentlich nach Silberhammer gehört oder nach Tapiau in die Anstalt.
Matzerath entschloß sich auf Gretchen Schefflers Zureden hin, meine Geliebte zu heiraten. Wenn ich also ihn, meinen mutmaßlichen Vater, als Vater bezeichne, muß ich feststellen: mein Vater heiratete meine zukünftige Frau, nannte später meinen Sohn Kurt seinen Sohn Kurt, verlangte also von mir, daß ich in seinem Enkelkind meinen Halbbruder anerkannte und meine geliebte, nach Vanille duftende Maria als Stiefmutter in seinem nach Fischlaich stinkenden Bett duldete. Wenn ich mir aber bestätigte: dieser Matzerath ist nicht einmal dein mutmaßlicher Vater,er ist ein wildfremder, weder sympathischer noch deine Abneigung verdienender Mensch, der gut kochen kann, der gut kochend bisher schlecht und recht an Vaters Statt für dich sorgte, weil deine arme Mama ihn dir hinterlassen hat, der dir nun vor allen Leuten die allerbeste Frau wegschnappt, dich zum Zeugen einer Hochzeit, fünf Monate später einer Kindstaufe macht, zum Gast zweier Familienfeste also, die zu veranstalten viel mehr dir zukäme, denn du hättest Maria zum Standesamt fuhren sollen, an dir wäre es gewesen, die Taufpaten zu bestimmen,wenn ich mir also die Hauptrollen dieser Tragödie ansah und bemerken mußte, daß die Aufführung des Stückes unter einer falschen Besetzung der Hauptrollen litt, verzweifelte ich am Theater: denn Oskar, dem wahren Charakterdarsteller, hatte man eine Statistenrolle eingeräumt, die genau so gut hätte gestrichen werden können.
Bevor ich meinem Sohn den Namen Kurt gebe, ihn so nenne, wie er nie hätte heißen sollen — denn ich hätte den Knaben nach seinem wahren Großvater Vinzent Bronski benannt — bevor ich mich also mit Kurt abfinde, will Oskar nicht verschweigen, wie er sich während Marias Schwangerschaft gegen die zu erwartende Geburt wehrte.
Noch am selben Abend jenes Tages, da ich die beiden auf der Chaiselongue überraschte, trommelnd auf Matzeraths schweißnassem Rücken hockte und die von Maria geforderte Vorsicht verhinderte, unternahm ich einen verzweifelten Versuch, meine
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