Die Blechtrommel
Bad oftmals mittollte, mithalf, den einen oder anderen Knaben abzureiben, auch der ganzen Horde erlaubte, ihn abzureiben; so will der Musiker Meyn von der Glettkauer Strandpromenade aus trotz des Küstennebels gesehen haben, wie der schrecklich nackte, singende, schreiende Greff zwei seiner nackten Zöglinge an sich riß, hob und nackt mit nackt beladen, ein schreiend entfesseltes Dreigespann über die dichte Eisdecke der Ostsee tobte.
Man kann sich denken, daß Greff kein Fischerssohn war, obgleich es in Brösen und Neufahrwasser viele Fischer gab, die Greff hießen. Greff, der Gemüsehändler, kam aus Tiegenhof, jedoch hatte Lina Greff, eine geborene Bartsch, ihren Mann in Praust kennengelernt. Er half dort einem jungen unternehmungslustigen Vikar bei der Betreuung des katholischen Gesellenvereins, und Lina ging des gleichen Vikars wegen jeden Sonnabend ins Gemeindehaus. Einem Foto nach, das die Greffsche mir geschenkt haben muß, denn es klebt heute noch in meinem Fotoalbum, war die zwanzigjährige Lina damals kräftig, rund, lustig, gutmütig, leichtsinnig, dumm. Ihr Vater hatte eine größere Gärtnerei in Sankt Albrecht. Sie heiratete als Zweiundzwanzig-jährige, wie sie später immer wieder beteuerte, vollkommen unerfahren, auf Anraten des Vikars hin, den Greff und machte mit dem Geld ihres Vaters den Gemüseladen in Langfuhr auf. Da sie einen großen Teil ihrer Waren, so fast alles Obst aus der väterlichen Gärtnerei billig bezogen, ging das Geschäft gut, fast von alleine, und Greff konnte nicht viel verderben.
Ja, hätte der Gemüsehändler nicht diesen kindischen Zug zur Bastelei gehabt, wäre es nicht schwer gewesen, aus dem Laden, der so günstig, fern aller Konkurrenz in dem kinderreichen Vorort lag, eine Goldgrube zu machen. Doch als zum dritten und vierten Male der Beamte vom Eichamt erschien und die Gemüsewaage kontrollierte, die Gewichte beschlagnahmte, auch die Waage sperrte und Greff mit kleineren und größeren Bußen .belegte, ging ein Teil der Stammkundschaft davon, kaufte auf dem Wochenmarkt ein, und es hieß: die Ware bei Greff ist zwar immer erste Qualität, gar nicht mal teuer, aber es geht dort wohl nicht reell zu; die Leute vom Eichamt waren schon wieder da.
Dabei bin ich sicher, Greff wollte nicht betrügen. War es doch so, daß die große Kartoffelwaage zu Greffs Ungunsten wog, nachdem der Gemüsehändler einige Änderungen vorgenommen hatte. So baute er kurz vor Kriegsanfang gerade jener Waage ein Glockenspiel ein, das je nach Gewicht der gewogenen Kartoffeln ein Liedchen hören ließ. Bei zwanzig Pfund Kartoffeln bekam die Kundschaft, als Zugabe sozusagen, »An der Saale hellem Strande« zu hören, fünfzig Pfund Kartoffeln lösten »Üb immer Treu und Redlichkeit« aus, ein Zentner Winterkartoffeln entlockte dem Glockenspiel die naiv betörenden Töne des Liedchens »Ännchen von Tharau«.
Wenn ich auch einsah, daß dem Eichamt diese musikalischen Scherze nicht gefallen konnten, Oskar selbst hatte einen Sinn für des Gemüsehändlers Marotten. Auch Lina Greff sah ihrem Gatten diese Absonderlichkeiten nach, weil, nun weil die Greffsche Ehe eben darin bestand, daß beide Ehepartner sich gegenseitig alle Absonderlichkeiten nachsahen. So kann man sagen, die Greffsche Ehe war eine gute Ehe. Der Gemüsehändler schlug seine Frau nicht, betrog sie niemals mit anderen Frauen, war weder ein Trinker noch ein Prasser, war vielmehr ein lustiger, solide gekleideter Mann, der nicht nur bei der Jugend, sondern auch bei jenem Teil der Kundschaft, der dem Händler mit den Kartoffeln die Musik abnahm, wegen seiner geselligen, hilfsbereiten Natur beliebt war.
So sah auch Greff ruhig und nachsichtig zu, wie seine Lina von Jahr zu Jahr zu einer immer übler riechenden Schlampe wurde. Lächeln sah ich ihn, wenn Leute, die es gut mit ihm meinten, die Schlampe beim Namen nannten. Seine eigenen, trotz der Kartoffeln gepflegten Hände anhauchend und reibend, hörte ich ihn manchmal zu Matzerath, der an der Greff sehen Anstoß nahm, sagen: »Natürlich hast du vollkommen recht, Alfred. Sie ist ein wenig nachlässig, die gute Lina. Aber du und ich, sind wir denn ohne Fehl?« Wenn Matzerath nicht locker ließ, beschloß Greff solche Diskussionen bestimmt und dennoch freundlich: »Du magst hier und da richtig sehen, dennoch hat sie ein gutes Herz. Ich kenne doch meine Lina.«
Es mag sein, daß er sie gekannt hat. Sie jedoch kannte ihn kaum. Genau wie die Nachbarn und Kunden hätte sie in den Beziehungen
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