Die Blechtrommel
hatte, kannte nur einen Wunsch: er muß weg, der Bauch, das ist ein Irrtum, das versperrt dir die Aussicht, du mußt aufstehen und etwas tun! So stand ich auf. Du mußt sehen, was sich da machen läßt. So ging ich hin zum Bauch und nahm etwas mit beim Hingehen. Du solltest da ein bißchen Luft machen, das ist eine üble Blähung. Da hob ich, was ich beim Hingehen mitgenommen hatte, suchte mir eine Stelle zwischen Marias auf dem Bauch mitatmenden Patschhänden. Du solltest jetzt endlich zum Entschluß kommen, Oskar, sonst öffnet Maria die Augen. Da fühlte ich mich auch schon beobachtet, blickte aber weiterhin auf Marias leicht zitternde linke Hand, bemerkte zwar, daß sie die rechte Hand wegzog, daß die rechte Hand etwas vorhatte, und war auch nicht sonderlich erstaunt, als Maria mit der rechten Hand die Schere aus Oskars Faust drehte. Vielleicht blieb ich noch einige Sekunden lang mit erhobenem, aber leerem Griff stehen, hörte die Uhr, die Fliege, die Stimme des Ansagers im Radio, der das Ende des Kretaberichtes meldete, machte dann kehrt und verließ, bevor die neue Sendung — muntere Weisen von zwei bis drei — beginnen konnte, unser Wohnzimmer, das mir angesichts eines raumfüllenden Leibes zu eng geworden war.
Zwei Tage später wurde ich von Maria mit einer neuen Trommel versorgt und zu Mutter Truczinski in die nach Kaffee-Ersatz und Bratkartoffeln riechende Wohnung in der zweiten Etage gebracht. Zuerst schlief ich auf dem Sofa, da Oskar sich weigerte, in Herberts ehemaligem Bett zu schlafen, das, wie ich fürchten mußte, immer noch Marias Vanilleduft an sich haben mochte. Nach einer Woche schleppte der alte Heilandt mein hölzernes Kinderbett die Treppe hoch. Ich erlaubte, daß das Gestell neben jenem Lager aufgestellt wurde, das unter mir, Maria und unserem gemeinsamen Brausepulver stillgehalten hatte.
Oskar wurde ruhiger oder gleichgültiger bei Mutter Truczinski. Sah ich doch jetzt den Bauch nicht mehr, denn Maria scheute das Treppensteigen. Ich vermied die Wohnung im Parterre, das Geschäft, die Straße, selbst den Hof des Mietshauses, auf dem wegen der immer schwieriger werdenden Ernährungslage wieder Kaninchen gehalten wurden.
Meistens saß Oskar vor den Postkarten, die der Unteroffizier Fritz Truczinski aus Paris geschickt oder mitgebracht hatte. Dieses und jenes stellte ich mir unter der Stadt Paris vor und begann, als Mutter Truczinski mir eine Ansichtspostkarte des Eiffelturmes reichte, auf die Eisenkonstruktion des kühnen Bauwerkes eingehend, Paris zu trommeln, eine Musette zu trommeln, ohne jemals vorher eine Musette gehört zu haben.
Am zwölften Juni, nach meinen Berechnungen vierzehn Tage zu früh, im Zeichen Zwillinge — und nicht wie ich errechnet hatte, im Sternzeichen Krebs — wurde mein Sohn Kurt geboren. Der Vater in einem Jupiterjahr, der Sohn in einem Venusjahr. Der Vater vom Merkur in der Jungfrau beherrscht, was skeptisch und einfallsreich macht; der Sohn gleichfalls vom Merkur, aber im Zeichen der Zwillinge mit kaltem, strebendem Verstand bedacht. Was bei mir die Venus des Zeichens Waage im Hause des Aszendenten milderte, verschlimmerte der Widder im gleichen Haus meines Sohnes; ich sollte seinen Mars noch zu spüren bekommen.
Mutter Truczinski teilte mir aufgeregt und wie eine Maus tuend die Neuigkeit mit: »Nu stell dich vor, Oskarchen, hattä doch da Klapperstorch ain Briederchen jebracht. Un ech 'hab schon jedacht, na, wennes man nur nech ne Marjell is, wo später Kummer macht!« Kaum daß ich mein Trommeln vor der Eiffelturmvorlage und der frisch dazugekommenen Ansicht des Triumphbogens unterbrach.
Mutter Truczinski schien auch als Großmutter Truczinski keinen Glückwunsch von mir zu erwarten.
Obgleich nicht Sonntag war, entschloß sie sich, etwas Rot aufzulegen, griff nach dem oft bewährten Zichorienpapier, rieb sich schminkend die Wangen, verließ frischfarbig die Wohnung, um unten, im Parterre, dem angeblichen Vater Matzerath beizustehen.
Es war, wie gesagt, Juni. Ein trügerischer Monat. Erfolge an allen Fronten — wenn man Erfolge auf dem Balkan als Erfolge bezeichnen will — dafür aber stand man vor noch größeren Erfolgen im Osten. Da marschierte ein riesiges Heer auf. Die Eisenbahn hatte zu tun. Auch Fritz Truczinski, der es bislang in Paris so unterhaltsam gehabt hatte, mußte in östliche Richtung eine Reise antreten, die so bald nicht aufhören sollte und mit keiner Fronturlauberreise zu verwechseln war. Oskar jedoch saß ruhig vor den blanken
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