Die Blechtrommel
Tische neben uns beruhigten sich. Schwester Gertrud wagte aufzublicken. Und als ich die stattliche Camelkippe im Aschenbecher ausdrückte und liegenließ, nahm Schwester Gertrud den Stummel mit sachlichem Griff an sich und steckte ihn in ein Seitenfach ihres Wachstuchhandtäschchens.
»Für meinen Verlobten in Dortmund«, sagte sie, »der raucht wie verrückt.«
Ich war froh, nicht ihr Verlobter sein zu müssen, auch daß die Musik einsetzte.
Die Fünfmannband spielte: »Don't fence me in.« Diagonal über die Tanzfläche eilende Kreppsohlenmänner stießen nicht zusammen, angelten sich Mädchen, die beim Aufstehen ihre Handtäschchen Freundinnen in Verwahrung gaben.
Es zeigten sich einige recht flüssig, wie eingeschult tanzende Paare. Viel Chewing Gum wurde bewegt, einige Burschen stellten für mehrere Takte das Tanzen ein, hielten die ungeduldig auf der Stelle dribbelnden Mädchen am Oberarm — englische Brocken ersetzten dem rheinischen Wortschatz die Hefe. Bevor die Paare sich wieder im Tanz fanden, wurden kleine Gegenstände weitergereicht: echte Schwarzhändler kennen keinen Feierabend.
Diesen Tanz ließen wir aus, auch den nächsten Fox. Oskar schaute den Männern gelegentlich auf die Beine und forderte Schwester Gertrud, die nicht wußte, wie ihr geschah, zu einem Tänzchen auf, als die Band »Rosamunde« anstimmte.
Mich an Jan Bronskis Tanzkünste erinnernd, wagte ich, der ich fast zwei Köpfe kleiner war als Schwester Gertrud und die groteske Note unserer Verbindung erkannte, auch bestärken wollte, einen Schieber: hielt sie, die sich gottergeben führen ließ, die Handfläche nach außen gekehrt am Gesäß, spürte dreißig Prozent Wolle, schob, mit der Wange ihrer Bluse nahe, die ganze kräftige Schwester Gertrud rückwärts und zwischen ihrem Schritt spurend, Platz fordernd, weil links unsere starren Arme ausschwenkend, von Ecke zu Ecke über die Tanzfläche. Es ging besser, als ich zu hoffen gewagt hatte.
Erlaubte mir Variationen, hielt mich, oben die Bluse wahrend, unten bald links, bald rechts ihrer Halt bietenden Hüfte, umtanzte sie, ohne dabei jene klassische Haltung des Schiebers aufzugeben, die den Eindruck zu erwecken hat: die Dame stürzt sogleich rückwärts, der Herr, der sie stürzen will, stürzt vorwärts über sie hinweg; und dennoch stürzen sie nicht, weil sie ausgezeichnete Schiebertänzer sind.
Bald hatten wir Zuschauer. Ich hörte Ausrufe wie: »Han ich dich nich jesacht, dat issen Jimmy! Guck dich den Jimmy an. Hallo Jimmy! Come on, Jimmy! Let's go, Jimmy!«
Leider konnte ich das Gesicht der Schwester Gertrud nicht sehen und mußte mich mit der Hoffnung begnügen, sie nehme den Beifall stolz und gelassen zugleich als eine Ovation der Jugend auf, finde sich in den Applaus, wie sie sich als Krankenschwester in die oft unbeholfenen Schmeicheleien der Patienten zu finden wußte.Als wir uns setzten, wurde immer noch geklatscht. Die Fünfmannband gab, wobei sich der Schlagzeuger besonders hervortat, einen Tusch und noch einen Tusch und einen dritten Tusch. »Jimmy«, wurde gerufen und »Haste die beiden gesehen?« Da erhob sich Schwester Gertrud, stammelte etwas von Toilettegehen, nahm das Handtäschchen mit der Kippe für den Dortmunder Verlobten, drängte sich hochrot, überall anstoßend 'zwischen Stühle und Tische in Richtung Toilette, neben der Kasse, Sie kam nicht wieder. Der Tatsache, daß sie vorm Weggehen mit langem Schluck ihr Kaltgetränkglas geleert hatte, durfte ich entnehmen, daß Glasaustrinken Abschied bedeutet: Schwester Gertrud ließ mich sitzen.
Und Oskar? Eine Amizigarette in der Bernsteinspitze, beim Ober, der diskret das bis zur Neige geleerte Glas der Krankenschwester wegräumte, ein Schuß ohne Kaltgetränk bestellt. Koste es, was es wolle: Oskar lächelte. Zwar schmerzhaft, aber er lächelte und schlug, oben die Arme kreuzend, unten die Hosenbeine übereinander, wippte mit zierlichem schwarzem Schnürstiefel, Größe fünfunddreißig, und genoß die Überlegenheit des Verlassenen.
Die jungen Leute, Stammgäste der Löwenburg, waren nett, zwinkerten mir von der Tanzfläche, vorbeiswingend zu. »Hallo« riefen die Burschen und »Take it easy« die Mädchen. Ich dankte mit meiner Zigarettenspitze den Vertretern wahrer Humanität und schmunzelte nachsichtig, als der Schlagzeuger üppig wirbelte und mich an gute alte Tribünenzeiten erinnerte, indem er eine Solonummer auf die Flachtrommel, auf Pauke, Becken, Triangel legte und alsdann Damenwahl
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