Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Hosenträger, die Weste hinten blank, vorne matt, altrosa gefuttert. Das Ganze brauchte fünf Anproben.
    Noch während der Schneidergeselle über Korneffs zweireihigem und meinem einreihigen Anzug saß, suchte ein Schuhfritze für seine dreiundvierzig durch Bombenschaden zu Tode gekommene Frau einen Meterstein. Der Mann wollte uns erst Bezugscheine bieten, aber wir wollten Ware sehen. Für den Schlesischen Marmor mitKunststeineinfassung und Versetzen bekam Korneff ein Paar dunkelbraune Halbschuhe und ein Paar Pantoffeln mit Ledersohle. Für mich fielen ein'Paar schwarze, wenn auch altmodische, so doch wunderbar weiche Schnürstiefel ab. Größe fünfunddreißig: die gaben meinen schwachen Füßen einen festen und eleganten Halt.
    Um Hemden kümmerte sich Maria, der ich ein Bündel Reichsmark auf die Kunsthonigwaage legte:
    »Ach würdest du mir zwei weiße Oberhemden, eines mit feinem Streifen, eine hellgraue Krawatte und eine maronenfarbene kaufen? Der Rest ist fürs Kurtchen oder für dich, liebe Maria, die du nie an dich denkst, immer an andere.«
    Einmal in Geberlaune, schenkte ich Guste einen Schirm mit echter Hornkrücke und ein Spiel kaum gebrauchte Altenburger Skatkarten, da sie sich gerne die Bildchen legte und ungern ein Spiel bei den Nachbarn auslieh, wenn sie nach Kösters Heimkehr Fragen stellen wollte.
    Maria beeilte sich, meinen Auftrag zu erledigen, erstand für den üppigen Rest des Geldes einen Regenmantel für sich, für Kurtchen einen Schultornister aus imitiertem Leder, der, so häßlich er war, vorläufig seinen Zweck erfüllen mußte. Zu meinen Hemden und Krawatten legte sie drei Paar graue Socken, die ich zu bestellen vergessen hatte.
    Als Korneff und Oskar die Anzüge abholten, standen wir uns vor dem Spiegel der Schneiderwerkstatt verlegen und dennoch voneinander beeindruckt gegenüber. Korneff wagte kaum, seinen Hals mit von Furunkelnarben zerfurchtem Nacken zu drehen. Aus abfallenden Schultergelenken ließ er die Arme vornüber hängen und versuchte seine Knickbeine zu strecken. Mir gab das neue Gewand, besonders wenn ich die Arme vor dem Brustkorb verschränkte, dadurch meine oberen horizontalen Ausmaße vergrößerte, das rechte schmächtige Bein als Standbein benutzte, das linke lässig winkelte, etwas dämonisch Intellektuelles. Lächelnd Korneff und sein Erstaunen genießend, näherte ich mich dem Spiegel, stand jener von meinem verkehrten Konterfei beherrschten Fläche so nahe, daß ich sie hätte küssen können, hauchte mich aber nur an und sagte so nebenbei: »Hallo, Oskar! Es fehlt dir noch eine Krawattennadel.«
    Als ich eine Woche später, an einem Sonntagnachmittag, die Städtischen Krankenanstalten betrat, meine Pflegerinnen besuchte, mich neu, eitel und tiptop von allen meinen besten Seiten zeigte, war ich schon Besitzer einer silbernen Krawattennadel mit Perle.
    Die guten Mädchen verloren die Sprache, als sie mich im Stationszimmer sitzen sahen. Das war im Spätsommer siebenundvierzig. Ich kreuzte auf bewährte Art die Anzugarme über dem Brustkorb, spielte mit meinen Lederhandschuhen. Über ein Jahr lang war ich jetzt Steinmetzpraktikant und Meister im Hohlkehlenziehen. Ein Hosenbein legte ich übers andere, trug dennoch den Bügelfalten Sorge. Die gute Guste pflegte das Maßwerk, als wäre es für den heimkehrenden, dann alles ändernden Köster geschneidert worden. Schwester Helmtrud wollte den Stoff fühlen und fühlte ihn auch. Für Kurtchen kaufte ich im Frühjahr siebenundvierzig, als wir seinen siebenten Geburtstag mit selbstgemixtem Eierlikör und Sandkuchen — Rezept: man nehme! — feierten, einen mausgrauen Lodenmantel. Ich bot den Krankenschwestern, zu denen sich auch Schwester Gertrud gesellte, Konfekt an, das eine Diabasplatte außer zwanzig Pfund braunem Zucker eingebracht hatte. Kurtchen ging meines Erachtens nach viel zu gerne zur Schule. Die Lehrerin, unverbraucht und, bei Gott, keine Spollenhauer, lobte ihn, sagte, er sei helle, doch etwas ernst. Wie fröhlich Krankenschwestern sein können, wenn man ihnen Konfekt anbietet! Als ich einen Augenblick mit Schwester Gertrud alleine im Stationszimmer war, erkundigte ich mich nach ihren freien Sonntagen.
    »Na heut' zum Beispiel, da hab ich von fünf an frei. Aber is ja doch nix los in der Stadt«, resignierte Schwester Gertrud.
    Ich war der Meinung, es käme auf einen Versuch an. Sie wollte es erst gar nicht versuchen, sich viel lieber mal richtig ausschlafen. Da wurde ich direkter, brachte meine Einladung

Weitere Kostenlose Bücher