Die Blechtrommel
beschlagene Brillengläser, sprach und sprach, bis ich sie aufforderte, erst einmal ihre Brille zu putzen, dann ihr Anliegen so zu formulieren, daß auch ich es verstünde. Da winkte sie die düsteren Jünglinge herbei, und die nannten sich sofort, ohne meine Aufforderung, Künstler, malende, zeichnende, bildende Künstler, die sich auf der Suche nach einem Modell befänden. Schließlich gaben sie mir nicht ohne Leidenschaft zu verstehen, daß sie in mir ein Modell zu sehen glaubten, rückten auch gleich, weil ich mit Daumen und Zeigefinger schnelle Bewegungen machte, mit den Verdienstmöglichkeiten eines Akademie-Modelles heraus: pro Stunde zahle die Kunstakademie eine Mark achtzig — für Akt — aber das komme wohl nicht in Frage, sagte die Dicke — sogar zwei Deutsche Mark.
Warum sagte Oskar ja? Lockte mich die Kunst? Lockte mich der Verdienst? Kunst und Verdienst lockten mich, erlaubten Oskar, ja zu sagen. So stand ich auf, ließ die Parkbank und die Möglichkeiten einer Parkbankexistenz für immer hinter mir, folgte dem stramm marschierenden Brillenmädchen und den beiden Jünglingen, die vornübergebeugt gingen, als trügen sie ihr Genie auf dem Rücken, an dem Arbeitsamt vorbei, in die Eiskellerbergstraße, ins teilweise zerstörte Gebäude der Kunstakademie.
Auch Professor Kuchen — schwarzer Bart, Kohleaugen, schwarzer kühner Schlapphut, schwarze Ränder unter den Fingernägeln - er erinnerte mich an das schwarze Büfett meiner Jugendjahre — sah in mir dasselbe vortreffliche Modell, das auch seine Schüler in mir, dem Mann auf der Parkbank, gesehen hatten.
Längere Zeit umschritt er mich, ließ seine Kohleaugen kreisen, schnaubte, daß schwarzer Staub seinen Nasenlöchern entfuhr, und sprach, mit schwarzen Fingernägeln einen unsichtbaren Feind erwürgend:
»Kunst ist Anklage, Ausdruck, Leidenschaft! Kunst, das ist schwarze Zeichenkohle, die sich auf weißem Papier zermürbt!«
Dieser zermürbenden Kunst gab ich das Modell ab. Professor Kuchen führte mich in das Atelier seiner Schüler, hob mich eigenhändig auf eine Drehscheibe, drehte die, nicht um mich schwindlig zu machen, sondern um Oskars Proportionen von allen Seiten zu verdeutlichen. Sechzehn Staffeleien rückten näher an Oskars Profil heran. Noch ein kurzer Vortrag des kohlenstaubschnaubenden Professors: Ausdruck verlangte er, hatte es überhaupt mit dem Wörtchen Ausdruck, sagte: verzweifelt nachtschwarzer Ausdruck, behauptete von mir, ich, Oskar, drücke das zerstörte Bild des Menschen anklagend, herausfordernd, zeitlos und dennoch den Wahnsinn unseres Jahrhunderts ausdrückend aus, donnerte noch über die Staffeleien hinweg: »Zeichnet ihn nicht, den Krüppel, schlachtet ihn, kreuzigt ihn, nagelt ihn mit Kohle aufs Papier!«
Das war wohl das Zeichen zum Anfang, denn sechzehnmal knirschte hinter den Staffeleien Kohle, schrie mürb werdend auf, zerrieb sich an meinem Ausdruck — gemeint war mein Buckel — machte den schwarz, schwärzte den an, verzeichnete ihn; denn alle Schüler des Professors Kuchen waren mit solch dicker Schwärze meinem Ausdruck hinterher, daß sie unweigerlich ins Übertreiben gerieten, die Ausmaße meines Buckels überschätzten; zu immer größeren Bögen mußten sie greifen und bekamen dennoch meinen Buckel nicht aufs Papier.
Da gab Professor Kuchen den sechzehn Zeichenkohlezermürbern den guten Rat, nicht mit dem Umriß meines allzu ausdruckstarken Buckels — der angeblich jedes Format sprengte — anzufangen, sondern im oberen Fünftel des Bogens, möglichst weit links zuerst meinen Kopf anzuschwärzen.Mein schönes Haar glänzt dunkelbraun. Die machten aus mir einen strähnigen Zigeuner. Keinem der sechzehn Kunstjünger fiel auf, daß Oskar blaue Augen hat. Als ich mir während einer Pause — denn jedes Modell darf nach einer Dreiviertelstunde Modellstehen ein Viertelstündchen pausieren — die oberen linken Fünftel der sechzehn Bögen anschaute, überraschte mich zwar vor jeder Staffelei das sozial Anklagende meines verhärmten Antlitzes, doch vermißte ich, leicht betroffen, die Leuchtkraft meiner Blauaugen: dort, wo es klar und gewinnend hätte strahlen sollen, rollten, verengten sich, zerbröckelten, stachen mich schwärzeste Kohlespuren.
Die künstlerische Freiheit in Betracht ziehend, sagte ich mir: Den Rasputin in dir haben die jungen Musensöhne und kunstverstrickten Mädchen zwar erkannt; ob sie wohl jemals jenen in dir schlummernden Goethe entdecken, erwecken und leicht, weniger mit
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