Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Bildhauermädchen lachten, wenn mir, fast sinnbildlich, das Fleisch zeitraffend von den Knochen fiel. Als es den Bildhauerlehrlingen dennoch gelang, nach mehreren Wochen einige brave Skulpturen zuerst in Ton, dann in Gips und Glanz für die Semesterschlußausstellung anzufertigen, hatte ich Gelegenheit, immer wieder neue Vergleiche zwischen den häßlichen und begabten, den hübschen, aber schwatzhaften Mädchen anzustellen. Während die garstigen, aber nicht kunstlosen Jungfrauen recht sorgfältig meinen Kopf, die Glieder, den Buckel nachbildeten, mein Geschlechtsteil jedoch aus merkwürdiger Scheu heraus entweder vernachlässigten oder albern stilisierten, verschwendeten die lieblichen, großäugigen, zwar schönfingrigen, dennoch ungeschickten Jungfrauen wenig Aufmerksamkeit an die gegliederten Maße meines Körpers, aber allen Fleiß an die haargenaue Nachbildung meiner ansehnlichen Genitalien. Um die vier bildhauernden jungen Männer in diesem Zusammenhang nicht zu vergessen, sei berichtet: die abstrahierten mich, klopften mich mit flachen gerillten Brettchen viereckig und ließen das, was die häßlichen Jungfrauen vernachlässigten, die lieblichen Jungfrauen wie fleischige Natur blühen ließen, mit trockenem Männerverstand als viereckig längliches Klötzchen über zwei gleich großen Würfeln wie das zeugungswütige Organ eines Baukastenkönigs in den Raum ragen.
    Sei es meiner blauen Augen wegen, sei es der Heizsonnen wegen, die die Bildhauer um mich, den nackten Oskar, aufstellten: junge Maler, die die anmutigen Bildhauermädchen besuchten, entdeckten entweder im Augenblau oder in meiner angestrahlten, krebsrot glühenden Haut den malerischen Reiz, entführten mich aus den zu ebener Erde liegenden Bildhauer-und Grafikerateliers in die oberen Stockwerke und mischten fortan nach mir ihre Farben auf den Paletten.Anfangs waren die Maler noch allzusehr von meinem blauen Blick beeindruckt. So blau schien ich sie anzusehen, daß Malers Pinsel mich ganz und gar blau wollte. Oskars gesundes Fleisch, sein gewelltes Braunhaar, sein frischer, durchbluteter Mund welkten, schimmelten in makabren Blautönen; allenfalls, daß sich hier und da, die Verwesung noch beschleunigend, todkrankes Grün, speiübles Gelb zwischen meine blauen Fleischlappen schoben.
    Oskar kam erst zu anderen Farben, als er während des Karnevals, der eine Woche lang in den Kellerräumen der Akademie gefeiert wurde, Ulla entdeckte und als Muse den Malern zuführte.
    War es der Rosenmontag? Es war am Rosenmontag, da ich mich entschloß, mitzufeiern, kostümiert hinzugehen und einen kostümierten Oskar in die Menge zu mischen.
    Maria sagte, als sie mich vor dem Spiegel sah: »Nu blaib zu Haus, Oskar. Die zertrampeln dir nur.«
    Dann half sie mir doch beim Kostümieren, schnitt Stoffreste zu, die ihre Schwester Guste sogleich mit geschwätziger Nadel zu einem Narrenkleid zusammenfügte. Zuerst schwebte mir etwas im Stil Velazquez' vor. Auch hätte ich mich gerne als Feldherr Narses, womöglich als Prinz Eugen gesehen.
    Als ich schließlich vor dem großen Spiegelglas stand, dem Kriegsereignisse zu einem diagonalen, das Spiegelbild leicht versetzenden Sprung verhelfen hatten, als das ganze bunte, gepluderte, geschlitzte, mit Schellen behängte Zeug deutlich wurde, meinen Sohn Kurt zu Gelächter und Hustenanfall reizte, sagte ich mir leise, nicht gerade glücklich: Nun bist du Yorick der Narr, Oskar. Doch wo gibt es einen König, den du narren könntest!?
    Schon in der Straßenbahn, die mich zum Ratinger Tor, in die Nähe der Akademie bringen sollte, fiel mir auf, daß ich das Volk, alles was da als Cowboy und Spanierin das Büro und den Ladentisch verdrängen wollte, nicht zum Lachen brachte, sondern erschreckte. Man nahm Abstand, und so kam ich trotz des vollbesetzten Straßenbahnwagens in den Genuß eines Sitzplatzes. Vor der Akademie schwangen Polizisten ihre waschechten und gar nicht kostümierten Gummiknüppel. Der »Musentümpel« — so hieß das Fest der Kunstjünger — war überfüllt, die Menge versuchte dennoch das Gebäude zu erstürmen und setzte sich mit der Polizei teilweise blutig, auf jeden Fall farbig auseinander.
    Als Oskar sein kleines Glöckchen, das ihm am linken Ärmel hing, sprechen ließ, teilte sich die Menge, ein Polizist, der von Berufs wegen meine Größe erkannte, salutierte von oben herab, fragte nach meinen Wünschen und geleitete mich, seinen Knüppel schwingend, in die festlichen Kellerräume — dort kochte das

Weitere Kostenlose Bücher