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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Eisen und die nackten gebogenen Bleirohre auch ohne den Modellierton zukünftige, formvollendete Harmonie ankündigten.
    Ich stand dem Bildhauer fünf Stunden täglich als Aktmodell und bekam zwei Mark pro Stunde. Mit Kreide markierte er auf der Drehscheibe einen Punkt, zeigte an, wo fortan mein rechtes Bein als Standbein zu wurzeln hatte. Eine Senkrechte vom inneren Knöchel des Standbeines hochgezogen hatte genau meine Halsgrube zwischen den Schlüsselbeinen zu treffen. Das linke Bein war das Spielbein.Doch diese Bezeichnung täuscht. Wenn ich es auch leicht gewinkelt und lässig zur Seite zu stellen hatte, durfte ich es dennoch 'nicht verrücken oder spielerisch bewegen. Auch das Spielbein wurde mit einem Kreideumriß auf der Drehscheibe verwurzelt.
    Während der Wochen, da ich dem Bildhauer Maruhn Modell stand, konnte er für meine Arme keine entsprechende und ähnlich den Beinen unverrückbare Pose finden. Da mußte ich den linken Arm hängen lassen, den rechten über den Kopf winkeln, da mußte ich beide Arme vor der Brust kreuzen, unterm Buckel verschränken, in die Seiten stemmen; es gab tausend Möglichkeiten, und der Bildhauer probierte alle an mir und dem Eisengerüst mit den biegsamen Bleirohrgliedern aus.
    Als er sich schließlich nach einem Monat fleißiger Posensuche entschloß, mich entweder mit verschränkten Händen, die ich am Hinterkopf zu halten hatte, oder ganz ohne Arme, als Torso in Ton umzusetzen, hatte er sich beim Gerüstbau und Gerüstumbau derart erschöpft, daß er zwar nach dem Ton in der Tonkiste griff, auch einen Anlauf nahm, dann jedoch den dumpfen ungeformten Stoff wieder in die Kiste klatschen ließ, sich vors Gerüst hockte, mich und mein Gerüst anstarrte, mit den Fingern verzweifelt zitterte: das Gerüst war zu perfekt!
    Seufzend resignierend, Kopfschmerzen vortäuschend, doch ohne Oskar zu grollen, gab er es auf, stellte das bucklige Gerüst samt Spiel-und Standbein, mit den erhobenen Bleirohrarmen, mit den Drahtfingern, die sich im eisernen Nacken verschränkten, in die Ecke zu all den anderen frühvollendeten Gerüsten; leise, nicht spöttisch, eher der eigenen Nutzlosigkeit bewußt, schwankten in meinem geräumigen Buckelgerüst die Holzknebel — auch Schmetterlinge genannt — die hätten die Tonlast tragen sollen.
    Darauf tranken wir Tee und verplauderten noch ein rundes Stündchen, das mir der Bildhauer als Modellstunde bezahlte. Er sprach von früheren Zeiten, da er noch als junger Michelangelo den Ton zentnerweise und hemmungslos in Gerüste hing und Plastiken vollendete, die zumeist während des Krieges zerstört wurden. Ich erzählte ihm von Oskars Tätigkeit als Steinmetz und Schrifthauer. Wir fachsimpelten ein bißchen, bis er mich zu seinen Schülern brachte, damit die in mir das Bildhauermodell sahen und nach Oskar Gerüste bauten.
    Von den zehn Schülern des Professors Maruhn waren, wenn lange Haare ein Geschlechtszeichen sind, sechs als Mädchen zu bezeichnen. Vier waren häßlich und begabt. Zwei waren hübsch, schwatzhaft und wirkliche Mädchen. Ich habe mich nie als Aktmodell geniert. Ja, Oskar genoß sogar das Erstaunen der beiden hübschen und schwatzhaften Bildhauermädchen, als die mich zum erstenmal auf der Drehscheibe musterten und leicht irritiert feststellten, daß Oskar, trotz Buckel, trotz sparsam bemessener Körpergröße ein Geschlechtsteil mit sich führte, welches sich notfalls mit jedem anderen, sogenannten normalen männlichen Attribut hätte messen können.
    Mit den Schülern des Meisters Maruhn verhielt es sich etwas anders als mit dem Meister. Die hatten schon nach zwei Tagen die Gerüste stehen, taten genial und klatschten, von genialer Eile besessen, den Ton zwischen die hastig und unsachgemäß befestigten Bleirohre, hatten aber wohl zu wenig hölzerne Schmetterlinge in meinen Gerüstbuckel gehängt: denn kaum hing die Last des feuchtatmenden Modelliertones, Oskar ein wild zerklüftetes Aussehen gebend, in den Gerüsten, da neigte sich schon zehnmal der frischangelegte Oskar, da fiel mir der Kopf zwischen die Füße, da klatschte der Ton von den Bleirohren, da rutschte mir der Buckel in die Kniekehlen, da lernte ich den Meister Maruhn schätzen, der ein so vortrefflicher Gerüstbauer war, daß er das Kaschieren des Gerüstes mit dem billigen Stoff gar nicht nötig hatte.
    Es gab sogar Tränen bei den häßlichen, aber begabten Bildhauermädchen, wenn der Ton-Oskar sich vom Gerüst-Oskar trennte. Die hübschen, aber schwatzhaften

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