Die Blechtrommel
Ausdruck, eher mit einem maßvollen Silberstift zu Papier bringen? Weder den sechzehn Schülern, so begabt sie sein mochten, noch dem Professor Kuchen, so unverwechselbar sein Kohlestrich genannt wurde, gelang es, ein gültiges Bildnis Oskars der Nachwelt zu bescheren. Allein, ich verdiente gut, wurde respektvoll behandelt, stand tagtäglich sechs Stunden auf der Drehscheibe, wurde bald mit dem Gesicht zum immer verstopften Waschbecken, dann mit der Nase gegen die grauen, himmelblauen, leicht bewölkten Atelierfenster, machmal auch gegen eine spanische Wand gedreht und spendete Ausdruck, der mir stündlich eine Mark und achtzig Pfennige einbrachte.
Nach einigen Wochen gelang es den Schülern, etliche nette Bildchen zu machen. Das heißt, sie hatten sich im Ausdruckanschwärzen etwas gemäßigt, übertrieben die Ausmaße meines Buckels nicht mehr ins Uferlose, brachten mich gelegentlich vom Scheitel bis zur Sohle, von den Jackenknöpfen über meinem Brustkorb bis zu jener Stelle meines Anzugstoffes aufs Papier, welche am weitesten ausladend meinen Buckel begrenzte. Auf vielen Zeichenbögen fand sich sogar Platz für einen Hintergrund. Die jungen Leute zeigten sich trotz der Währungsreform immer noch vom Krieg beeindruckt, bauten hinter mir Ruinen mit anklagend schwarzen Fensterlöchern auf, stellten mich als hoffnungslosen, unterernährten Flüchtling zwischen geborstene Baumstümpfe, inhaftierten mich sogar, wickelten mit fleißig schwarzer Kohle hinter mir einen übertrieben stachligen Stacheldrahtzaun ab, ließen mich von Wachtürmen beobachten, die gleichfalls im Hintergrund drohten; ein leeres Blechschüsselchen mußte ich halten, Kerkerfenster gaben hinter und über mir ihren graphischen Reiz her — man steckte Oskar in Sträflingskleidung — was alles des künstlerischen Ausdruckes wegen geschah.
Da mir das jedoch als schwarzhaariger Zigeuner-Oskar angeschwärzt wurde, da man mich nicht blauäugig, sondern mit Kohleaugen all dieses Elend schauen ließ, hielt ich, der ich wußte, daß man Stacheldraht nicht zeichnen kann, als Modell still, war aber dennoch froh, als mich die Bildhauer, die bekanntlich ohne zeitbezügliche Hintergründe auskommen müssen, zum Modell, zum Aktmodell machten.
Diesmal sprach mich kein Schüler, sondern der Meister persönlich an. Professor Maruhn war mit meinem Kohleprofessor, dem Meister Kuchen, befreundet. Als ich eines Tages im Privatatelier Kuchens, einem düsteren Raum voller gerahmter Zeichenkohlespuren, stillhielt, damit mich der Rauschebart mit seinem unverwechselbaren Strich aufs Papier bannte, besuchte ihn Professor Maruhn, ein stämmiger untersetzter Fünfziger, der, hätte nicht eine staubige Baskenmütze von seinem Künstlertum gezeugt, im weißen Modellierkittel einem Chirurgen nicht unähnlich gewesen wäre.
Maruhn, wie ich sofort merkte, ein Liebhaber klassischer Formen, blickte mich meiner Proportionen wegen feindselig an. Seinen Freund verhöhnte er: er, Kuchen, habe wohl nicht genug an seinen Zigeunermodellen, die er bislang angeschwärzt habe, denen er jenen in Künstlerkreisen gebräuchlichen Übernamen Zigeunerkuchen verdanken könne? Ob er sich nun auch an Mißgeburten versuchen wolle, ob er sich mit der Absicht trage, nach jener erfolgreichen und gut verkäuflichen Zigeunerperiode nun eine Zwergenperiode noch verkäuflicher, noch erfolgreicher anzuschwärzen?
Professor Kuchen verwandelte den Spott seines Freundes in wütende, nachtschwarze Kohlespuren: das war das schwärzeste Bild, daß er jemals von Oskar machte, eigentlich war es nur schwarz, bis auf ein wenig Helligkeit auf meinen Backenknochen, auf Nase, Stirn und auf meinen Händen, die Kuchen immer zu groß und mit Gichtknoten versehen ausdruckstark im Mittelgrund seiner Kohleorgien spreizte. Jedoch habe ich auf dieser Zeichnung, die später auf Ausstellungen zu Ansehen kam, blaue, das heißt, lichte, nicht düster strahlende Augen. Oskar führt das auf den Einfluß des Bildhauers Maruhn zurück, der ja kein expressiver Kohlewüterich, sondern Klassiker war, dem meine Augen in Goethescher Klarheit leuchteten. So wird es dann auch Oskars Blick gewesen sein, der den Bildhauer Maruhn, der eigentlich nur das Ebenmaß liebte, verführen konnte, in mir ein Bildhauermodell, sein Bildhauermodell, zu sehen.
Das Atelier Maruhns war staubig hell, fast leer und zeigte keine einzige fertige Arbeit. Überall standen jedoch Modelliergerüste für geplante Arbeiten, die so perfekt durchdacht waren, daß Draht,
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