Die Blechtrommel
etwa vier mal achtzehn messend, den zwei abermals originelle Kanonenöfen zu heizen hatten. Freilich war der Keller im Grunde doch kein Keller. Man hatte ihm die Decke genommen, ihn nach oben bis in die Parterrewohnung erweitert. So war auch das einzige Fenster des Zwiebelkellers kein eigentliches Kellerfenster, sondern das ehemalige Fenster der Parterrewohnung, was die Seriosität des gutgehenden Nachtlokals geringfügig beeinträchtigte. Da man jedoch aus dem Fenster hätte schauen können, hätten nicht Butzenscheiben es verglast, da man also eine Galerie in den nach oben erweiterten Keller baute, die man auf einer höchst originellen Hühnerleiter besteigen konnte, darf man den Zwiebelkeller vielleicht doch ein seriöses Nachtlokal nennen, wenn auch der Keller kein eigentlicher Keller war — aber warum sollte er auch?
Oskar vergaß zu berichten, daß auch die Hühnerleiter zur Galerie keine eigentliche Hühnerleiter, sondern eher eine Art Fallreep war, weil man sich links und rechts der gefährlich steilen Leiter an zwei äußerst originellen Wäscheleinen halten konnte; das schwankte etwas, ließ an eine Schiffsreise denken und verteuerte den Zwiebelkeller.
Karbidlampen, wie sie der Bergmann mit sich führt, beleuchteten den Zwiebelkeller, spendeten den Karbidgeruch — was abermals die Preise steigerte — und versetzten den zahlenden Gast des Zwiebelkellers in den Stollen eines, sagen wir, Kalibergwerkes neunhunderfünfzig Meter unter die Erde: Hauer mit nackten Oberkörpern arbeiteten vorm Stein, schießen eine Ader an, der Schrapper holt das Salz, die Haspeln heulen, füllen die Abzüge, weit hinten, wo der Stollen nach Friedrichhall Zwei abbiegt, schwankt ein Licht, das ist der Obersteiger, der kommt, sagt »Glück auf!« und schwenkt eine Karbidlampe, die genau so aussieht wie jene Karbidlampen, die an den unverputzten, flüchtig gekalkten Wänden des Zwiebelkellers hingen, leuchteten, rochen, Preise steigerten und eine originelle Atmosphäre verbreiteten.
Die unbequemen Sitzgelegenheiten, ordinäre Kisten, hatte man mit Zwiebelsäcken bespannt, die hölzernen Tische hingegen glänzten reinlich gescheuert, lockten den Gast aus dem Bergwerk in friedliche Bauernstuben, wie man sie ähnlich manchmal im Film sieht.
Das wäre alles! Und die Theke? Keine Theke! Herr Ober, bitte die Speisekarte! Weder Speisekarte noch Ober. Nur uns »The Rhine River Three« kann man noch nennen. Klepp, Scholle und Oskar saßen unter der Hühnerleiter, die eigentlich ein Fellreep war, kamen um neun Uhr, packten ihre Instrumente aus und begannen etwa um zehn Uhr mit der Musik. Da es jetzt jedoch erst fünfzehn Minuten nach neun ist, kann von uns erst später die Rede sein. Noch gilt es,Schmuh auf jene Finger zu schauen, mit denen Schmuh gelegentlich ein Kleinkalibergewehr hielt. i Sobald sich der Zwiebelkeller mit Gästen gefüllt hatte — halbvoll galt als gefüllt — legte sich Schmuh, der Wirt, den Shawl um. Der Shawl, kobaltblaue Seide, war bedruckt, besonders bedruckt, und wird erwähnt, weil das Shawlumlegen Bedeutung hatte. Goldgelbe Zwiebeln kann man das Druckmuster nennen. Erst wenn Schmuh sich mit diesem Shawl umgab, konnte man sagen, der Zwiebelkeller ist eröffnet.
Die Gäste: Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte, Künstler, auch Bühnenkünstler, Journalisten, Leute vom Film, bekannte Sportler, auch höhere Beamte der Landesregierung und Stadtverwaltung, kurz, alle, die sich heutzutage Intellektuelle nennen, saßen mit Gattinnen, Freundinnen, Sekretärinnen, Kunstgewerblerinnen, auch mit männlichen Freundinnen auf rupfenbespannten Kisten und unterhielten sich, solange Schmuh noch nicht den Shawl mit den goldgelben Zwiebeln trug, gedämpft, eher mühsam, beinahe bedrückt. Man versuchte, ins Gespräch zu kommen, schaffte es aber nicht, redete, trotz bester Absicht, an den eigentlichen Problemen vorbei, hätte sich gerne einmal Luft gemacht, hatte vor, mal richtig auszupacken, wollte frisch von der Leber, wie einem ums Herz ist, aus voller Lunge, den Kopf aus dem Spiel lassen, die blutige Wahrheit, den nackten Menschen zeigen — konnte aber nicht. Hier und da deutet sich in Umrissen eine verpfuschte Karriere an, eine zerstörte Ehe. Der Herr dort mit dem klugen massigen Kopf und den weichen, fast zierlichen Händen scheint Schwierigkeiten mit seinem Sohn zu haben, dem die Vergangenheit des Vaters nicht paßt. Die beiden, im Karbidlicht immer noch vorteilhaft wirkenden Damen im Nerz wollen den Glauben verloren
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