Die Blechtrommel
Kleinkalibermunition, seine rechte Jackentasche jedoch war prall von Vogelfutter, das er nicht etwa vor dem Schießen, sondern nach dem Schießen — niemals schoß Schmuh mehr als zwölf Sperlinge an einem Nachmittag — mit großzügigen Handbewegungen unter die Spatzen austeilte.
Als Schmuh noch lebte, sprach er uns an einem kühlen Novembermorgen des Jahres neunundvierzig — wir probten schon seit Wochen am Rheinufer — nicht etwa leise, sondern übertrieben laut an:
»Wie soll ich hier schießen können, wenn Sie Musik machen und die Vögelchen vertreiben!«
»Oh«, entschuldigte sich Klepp und nahm seine Flöte wie ein präsentiertes Gewehr, »Sie sind der Herr, der da so überaus musikalisch und unseren Melodien rhythmisch exakt angepaßt in den Hecken herumknallt, meine Hochachtung dem Herrn Schmuh!«
Schmuh freute sich, daß Klepp ihn beim Namen kannte, fragte aber dennoch, woher Klepp seinen Namen kenne. Klepp gab sich entrüstet: Jedermann kenne doch Schmuh. Auf den Straßen könne man hören: Da geht Schmuh, da kommt Schmuh, haben Sie Schmuh soeben gesehen, wo ist Schmuh heute, Schmuh schießt Sperlinge.
Durch Klepp zum Allerweltsschmuh gemacht, reichte Schmuh Zigaretten, erbat sich unsere Namen, wollte ein Stückchen aus unserem Repertoire geboten bekommen, bekam einen Tigerrag zu hören, woraufhin er seine Frau heranwinkte, die im Pelz auf einem Stein saßund über den Fluten des Flusses Rhein sinnierte. Sie kam im Pelz, und abermals mußten wir spielen, gaben High Society zum besten und sie, im Pelz, sagte, nachdem wir fertig waren: »Na Ferdy, das is doch jenau, was du suchst fürn Keller.« Er schien wohl ähnlicher Meinung zu sein, glaubte gleichfalls, uns gesucht und gefunden zu haben, ließ aber erst grübelnd, womöglich kalkulierend einige flache Kiesel recht geschickt übers Wasser des Flusses Rhein flitzen, ehe er das Angebot machte: Musik im Zwiebelkeller von neun Uhr abends bis zwei Uhr früh, zehn Mark pro Kopf und Abend, na sagen wir zwölf — Klepp sagte siebzehn, damit Schmuh fünfzehn sagen konnte — Schmuh jedoch sagte vierzehn Mark fünfzig, und wir schlugen ein.
Von der Straße aus gesehen glich der Zwiebelkeller vielen jener neueren Kleingaststätten, die sich von älteren Gaststätten auch dadurch unterscheiden, daß sie teurer sind. Den Grund für die höheren Preise konnte man in der extravaganten Innenausstattung der Lokale, zumeist Künstlerlokale genannt, suchen, auch in den Namen der Gaststätten, die dezent »Raviolistübchen« oder geheimnisvoll existenzialistisch »Tabu«, scharf, feurig »Paprika« hießen — oder auch »Zwiebelkeller«.
Bewußt unbeholfen hatte man das Wort Zwiebelkeller und das naiv eindringliche Portrait einer Zwiebel auf ein Emailleschild gemalt, das auf altdeutsche Art vor der Fassade an einem verschnörkelten gußeisernen Galgen hing. Butzenscheiben bierflaschengrüner Natur verglasten das einzige Fenster. Vor der mennigrot gestrichenen Eisentür, die in schlimmen Jahren einen Luftschutzkeller verschlossen haben mochte, stand in einem rustikalen Schafspelz der Portier. Nicht jeder durfte in den Zwiebelkeller. Besonders an den Feiertagen, da Wochenlöhne zu Bier wurden, galt es Altstadtbrüder abzuweisen, für die der Zwiebelkeller auch zu teuer gewesen wäre. Wer aber hinein durfte, fand hinter der Mennigtür fünf Betonstufen, stieg die hinab, fand sich auf einem Absatz, ein Meter mal ein Meter — das Plakat einer Picasso-Ausstellung machte selbst diesen Absatz ansehnlich und originell — stieg nochmals Stufen hinab, dieses Mal vier, und stand der Garderobe gegenüber.
»Bitte hinterher bezahlen!« besagte ein Pappschildchen, und der junge Mann hinter der Kleiderablage — zumeist ein bärtiger Jünger der Kunstakademie — nahm niemals das Geld vorher in Empfang, weil der Zwiebelkeller zwar teuer, aber gleichfalls seriös war.
Der Wirt empfing jeden Gast persönlich, tat das mit äußerst beweglichen Augenbrauen und Gesten, als gelte es, mit jedem neuen Gast ein Weihespiel einzuleiten. Der Wirt hieß, wie wir wissen, Ferdinand Schmuh, schoß gelegentlich Sperlinge und besaß den Sinn für jene Gesellschaft, die sich nach der Währungsreform in Düsseldorf ziemlich schnell, an anderen Orten langsamer, aber dennoch entwickelte.
Der eigentliche Zwiebelkeller war — und hier erkennt man das Seriöse des gutgehenden Nachtlokals — ein wirklicher, sogar etwas feuchter Keller. Vergleichen wir ihn mit einem langen, fußkalten Schlauch,
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