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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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öffnen und dich sehen. Geh zu Bett, Oskar, bald schlägt es fünf!
    Genau dieselben Ratschläge gab ich mir selbst damals, als ich auf dem Läufer lag. Ich fror und blieb liegen. Ich versuchte, mir den Körper der Schwester Dorothea zurückzurufen. Nichts als Kokosfasern spürte ich, hatte auch welche zwischen den Zähnen. Dann fiel ein Lichtstreif auf Oskar: die Tür des Zeidlerschen Wohn-und Schlafzimmers öffnete sich einen Spalt breit, Zeidlers Igelkopf, darüber ein Kopf voller metallener Lockenwickler, die Zeidlersche. Sie starrten, er hustete, sie kicherte, er rief mich an, ich gab keine Antwort, sie kicherte weiter, er befahl Ruhe, sie wollte wissen, was mir fehle,er sagte, das gehe nicht, sie nannte das Haus ein anständiges Haus, er drohte mit Kündigung, ich aber schwieg, weil das Maß noch nicht voll war. Da öffneten die Zeidlers die Tür, und er knipste das Licht im Korridor an. Da kamen sie auf mich zu, machten böse, böse, kleine böse Augen, und er hatte vor, seinen Zorn dieses Mal nicht an Likörgläsern auszulassen, stand über mir, und Oskar erwartete den Zorn des Igels — aber Zeidler konnte seinen Zorn nicht loswerden, weil es im Treppenhaus laut wurde, weil ein unsicherer Schlüssel die Wohnungstür suchte und schließlich auch fand, weil Klepp eintrat und jemanden mitbrachte, der genauso betrunken war wie er: Scholle, den endlich gefundenen Guitarristen.
    Die beiden beruhigten Zeidler und Frau, beugten sich zu Oskar herab, stellten keine Fragen, faßten mich, trugen mich und das satanische Stück Kokosläufer in mein Zimmer.
    Klepp rieb mich warm. Der Guitarrist brachte meine Kleider. Beide zogen mich an und trockneten meine Tränen. Schluchzen. Vor dem Fenster ereignete sich der Morgen. Sperlinge. Meine Trommel hängte Klepp mir um und zeigte seine kleine hölzerne Flöte. Schluchzen. Der Guitarrist schulterte seine Guitarre. Sperlinge. Freunde umgaben mich, nahmen mich in die Mitte, führten den schluchzenden Oskar, der sich nicht wehrte, aus der Wohnung, aus dem Haus in der Jülicher Straße zu den Sperlingen, entzogen ihn den Einflüssen der Kokosfaser, geleiteten mich durch morgendliche Straßen, quer durch den Hofgarten zum Planetarium bis an das Ufer des Flusses Rhein, der grau nach Holland wollte und Schiffe trug, auf denen Wäsche flatterte.
    Von sechs Uhr früh bis neun Uhr vormittags saßen an jenem dunstigen Septembermorgen der Flötist Klepp, der Guitarrist Scholle und der Schlagzeuger Oskar am rechten Flußufer des Flusses Rhein, machten Musik, spielten sich ein, tranken aus einer Flasche, blinzelten zu den Pappeln des anderen Ufers hinüber, gaben Schiffen, die Kohle geladen hatten, von Duisburg kamen und sich gegen den Strom mühten, schnelle aufgeräumte, langsame traurige Mississippimusik und suchten nach einem Namen für die gerade gegründete Jazz-Band.
    Als etwas Sonne den Morgendunst färbte und die Musik Verlangen nach einem ausgedehnten Frühstück verriet, erhob sich Oskar, der zwischen sich und die vergangene Nacht seine Trommel geschoben hatte, zog Geld aus der Jackentasche, was Frühstück bedeutete, und verkündete seinen Freunden den Namen der neugeborenen Kapelle: »The Rhine River Three« nannten wir uns und gingen frühstücken.

IM ZWIEBELKELLER
    Genau wie wir die Rheinwiesen liebten, liebte auch der Gastwirt Ferdinand Schmuh das rechte Rheinufer zwischen Düsseldorf und Kaiserswerth. Wir probten unsere Musikstückchen zumeist oberhalb Stockum. Schmuh hingegen suchte mit seinem Kleinkalibergewehr Hecken und Büsche der Uferböschung nach Sperlingen ab. Das war sein Hobby, dabei erholte er sich. Wenn Schmuh Ärger im Geschäft hatte, befahl er seine Frau hinters Steuer des Mercedes, sie fuhren am Fluß entlang, parkten den Wagen oberhalb Stockum, er zu Fuß, leicht plattfüßig mit Gewehr, Lauf nach unten, über die Wiesen, zog seine Frau, die lieber im Auto geblieben wäre, hinter sich her, ließ sie auf einem bequemen Uferstein zurück und verschwand zwischen den Hecken. Wir spielten unseren Ragtime, er knallte in den Büschen. Während wir die Musik pflegten, schoß Schmuh Sperlinge.
    Scholle, der gleich Klepp alle Gastwirte der Altstadt kannte, sagte, sobald es im Grünzeug knallte:
    »Schmuh schießt Sperlinge.«
    Da Schmuh nicht mehr lebt, kann ich hier gleich meinen Nachruf anbringen: Schmuh war ein guter Schütze, womöglich auch ein guter Mensch; denn wenn Schmuh Sperlinge schoß, verwahrte er zwar in seiner linken Jackentasche die

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