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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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wöchentlich spielten wir auf, verlangten und bekamen eine höhere Gage: zwanzig DM pro Abend, auch flössen uns immer reichlichere Trinkgelder zu — Oskar legte ein Sparbuch an und freute sich auf die Zinsen.
    Dieses Sparbüchlein sollte mir allzubald zum Helfer in der Not werden, denn da kam der Tod, nahm uns den Wirt Ferdinand Schmuh, nahm uns Arbeit und Verdienst.
    Weiter oben sagte ich schon: Schmuh schoß Sperlinge. Manchmal nahm er uns mit, in seinem Mercedes, ließ uns zugucken, wenn er Sperlinge schoß. Trotz gelegentlicher Streitigkeiten meiner Trommel wegen, unter denen auch Klepp und Scholle, die zu mir hielten, zu leiden hatten, blieb das Verhältnis zwischen Schmuh und seinen Musikern ein freundschaftliches Verhältnis, bis, wie gesagt, der Tod kam.
    Wir stiegen ein. Schmuhs Gattin saß wie immer am Steuer. Klepp neben ihr. Schmuh zwischen Oskar und Scholle. Das Kleinkalibergewehr hielt er auf den Knien, streichelte es manchmal. Bis kurz vor Kaiserswerth fuhren wir. Baumkulissen beiderseits des Flusses Rhein. Schmuhs Gattin blieb im Wagen und entfaltete eine Zeitung. Klepp hatte sich zuvor Rosinen gekauft, aß davon ziemlich regelmäßig. Scholle, der irgend etwas, bevor er Guitarrist wurde, studiert hatte, verstand es, auswendig Gedichte über den Fluß Rhein aufzusagen. Der zeigte sich auch von der poetischen Seite, trug, trotz sommerlicher Kalenderzeit, außer den gewöhnlichen Schleppkähnen schaukelndeHerbstblätter in Richtung Duisburg; und hätte Schmuhs Kleinkalibergewehr nicht dann und wann ein Wörtchen gesagt, hätte man den Nachmittag unterhalb Kaiserswerth einen friedlichen Nachmittag nennen können.
    Als Klepp mit seinen Rosinen fertig war und sich die Finger am Gras abwischte, war auch Schmuh fertig. Zu den elf kalten Federbällen auf dem Zeitungspapier legte er den zwölften und, wie er sagte, noch zuckenden Spatz. Schon packte der Schütze seine Beute zusammen — denn Schmuh nahm, was er schoß, aus unerfindlichen Gründen jedesmal nach Hause mit — da ließ sich ganz in unserer Nähe auf angeschwemmtem Wurzelzeug ein Sperling nieder, tat das so auffällig, war so grau, war solch ein Musterexemplar von einem Sperling, daß Schmuh nicht widerstehen konnte; er, der nie mehr als zwölf Sperlinge an einem Nachmittag schoß, schoß einen dreizehnten Spatz — das hätte Schmuh nicht tun sollen.
    Nachdem er den dreizehnten zu den zwölf gelegt hatte, gingen wir und fanden die Gattin Schmuhs schlafend im schwarzen Mercedes. Zuerst stieg Schmuh vorne ein. Dann stiegen Scholle und Klepp hinten ein. Ich hätte einsteigen sollen, stieg aber nicht ein, sagte, ich wolle noch etwas spazieren, nehme die Straßenbahn, man brauche auf mich keine Rücksicht zu nehmen, und so fuhren sie ohne Oskar, der wohlweislich nicht eingestiegen war, in Richtung Düsseldorf ab.
    Langsam ging ich hinterher. Weit brauchte ich nicht zu gehen. Es gab da eine Umleitung wegen Straßenarbeiten. Die Umleitung führte an einer Kiesgrube vorbei. Und in der Kiesgrube, etwa sieben Meter unterhalb des Straßenspiegels lag, mit den Rädern nach oben, der schwarze Mercedes.
    Arbeiter der Kiesgrube hatten die drei Verletzten und die Leiche Schmuhs aus dem Wagen gezogen.
    Der Unfallwagen war schon unterwegs. Ich kletterte in die Grube hinab, hatte die Schuhe bald voller Kies, kümmerte mich ein wenig um die Verletzten, sagte ihnen, die trotz der Schmerzen Fragen stellten, aber nicht, daß Schmuh tot sei. Starr und erstaunt blickte er gegen den dreiviertel bedeckten Himmel. Die Zeitung mit seiner Nachmittagsbeute hatte es aus dem Wagen geschleudert. Zwölf Sperlinge zählte ich, konnte den dreizehnten nicht finden, suchte den aber immer noch, als der Unfallwagen schon in die Kiesgrube geschleust wurde.
    Schmuhs Gattin, Klepp und Scholle hatten leichte Verletzungen erlitten: Prellungen, einige gebrochene Rippen. Als ich später Klepp im Krankenhaus besuchte und nach der Ursache des Unfalls befragte, erzählte er mir eine erstaunliche Geschichte: Als sie langsam, der ausgefahrenen Umleitungsstraße wegen, an der Kiesgrube vorbeifuhren, habe es plötzlich hundert, wenn nicht Hunderte von Sperlingen gegeben, die aus Hecken, Büschen, Obstbäumen aufwölkten, den Mercedes beschatteten, gegen die Windschutzscheibe stießen, Schmuhs Gattin erschreckten und mit bloßer Sperlingskraft den Unfall und Tod des Wirtes Schmuh bewirkten.
    Man mag zu Klepps Bericht stehen, wie man will; Oskar bleibt skeptisch, zumal er, als Schmuh beerdigt wurde,

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