Die Blechtrommel
kam.
Warum wehrte sich Oskar nicht? Warum ergriff er, der er doch mit der Muse reisen wollte, nicht die Partei der Muse? So schön ich mir auch eine Reise an Ullas überschlanker hellbeflaumter Seite vorstellte, fürchtete ich mich dennoch vor allzu nahem Zusammenleben mit einer Muse. Mit Musen muß man Distanz bewahren, sagte ich mir, sonst wird der Musenkuß zur hausbackenen Gewohnheit.
Da reise ich lieber mit dem Maler Lankes, der seine Muse schlägt, wenn sie ihn küssen will.
Über unser Reiseziel gab es keine lange Diskussion. Es kam nur die Normandie in Frage. Die Bunker zwischen Caen und .Cabourg wollten wir besuchen. Denn dort hatten wir uns während des Krieges kennengelernt. Schwierigkeiten alleine bereitete das Beschaffen der Visen. Doch über Visageschichten verliert Oskar kein Wort.
Lankes ist ein geiziger Mensch. So verschwenderisch er mit allerdings billigen oder erbettelten Farben auf schlechtgrundierten Leinwänden umgeht, so haushälterisch verkehrt er mit Papier-und Hartgeld.
Nie kauft er sich Zigaretten, raucht aber ständig. Um das Systematische seines Geizes deutlich zu machen, sei hier berichtet: sobald ihm jemand eine Zigarette schenkt, entnimmt er seiner linken Hosentasche ein Zehnpfennigstück, lüftet die Münze kurz, läßt sie dann in die rechte Hosentasche zu, je nach Tageszeit, mehr oder weniger vielen Groschenstücken gleiten. Er raucht fleißig und verriet mir einst bei guter Laune: »Tagtäglich rauch ich mich runde zwei Mark zusammen!«
Jenes Trümmergrundstück in Wersten, das Lankes vor etwa einem Jahr kaufte, hat er sich mit den Zigaretten seiner nahen und fernen Bekanntschaften erworben oder, besser gesagt, erraucht.
Mit diesem Lankes fuhr Oskar in die Normandie. Wir nahmen einen D-Zug. Lankes hätte lieber Autostop gemacht. Da ich jedoch zahlte und zu der Reise einlud, mußte er nachgeben. Von Caen nach Cabourg fuhren wir mit dem Autobus. An Pappeln ging es vorbei, hinter denen sich Wiesen mit Hecken abgrenzten. Braunweiße Kühe gaben dem Land das Aussehen einer Milchschokoladenreklame. Allerdings hätte man auf dem Glanzpapier nichts von den immer noch deutlichen Kriegsschäden zeigen dürfen, die jedes Dorf, so auch das Dörfchen Bavent, in dem ich meine Roswitha verloren hatte, zeichneten und unansehnlich machten.
Von Cabourg aus liefen wir den Strand entlang gegen die Orne-mündung. Es regnete nicht. Unterhalb Le Home sagte Lankes: »Wir sin z' Haus, Jong! Gib mich mal'n Zigarett'.« Noch während er die Münze von Tasche zu Tasche umziehen ließ, deutete sein immer vorgestreckter Wolfskopf auf einen der zahlreichen unversehrten Bunker in den Dünen. Langatmig faßte er seinen Rucksack, die Feldstaffelei und das Dutzend Keilrahmen links, faßte mich rechts, zog mich dem Beton entgegen. Ein Köfferchen und die Trommel machten Oskars Gepäck aus.
Am dritten Tag unseres Aufenthaltes an der Atlantikküste — wir hatten inzwischen das Innere des Bunkers Dora sieben vom Flugsand befreit, hatten die häßlichen Spuren unterschlupfsuchender Liebespaare beseitigt, hatten den Raum mittels einer Kiste, auch mit unseren Schlafsäcken wohnlich gemacht — brachte Lankes einen ordentlichen Kabeljau vom Strand mit. Fischer hatten ihm den gegeben. Er malte ihnen das Boot ab, sie halsten ihm den Kabeljau auf.
Da wir den Bunker immer noch Dora sieben nannten, war es kein Wunder, daß Oskar, während er den Fisch ausnahm, seine Gedanken zur Schwester Dorothea schickte. Leber und Milch des Fisches quollen ihm über beide Hände. Ich schuppte den Kabeljau gegen die Sonne, was Lankes zum Anlaß für ein fix hingeschludertes Aquarell nahm. Wir saßen windgeschützt hinter dem Bunker. Die Augustsonne stand Kopf auf der Betonkuppel. Ich begann den Fisch mit Knoblauchzehen zu spicken.
Was zuvor Milch, Leber, die Eingeweide fällten, stopfte ich mit Zwiebeln, Käse und Thymian, warf aber Milch und Leber nicht fort, lagerte vielmehr beide Delikatessen im Rachen des Fisches, den ich mittels einer Zitrone aufsperrte. Lankes schnüffelte in der Gegend. Besitzergreifend verschwand er in Dora vier, drei und weiter entfernten Bunkern. Mit Brettern und größeren Kartons, die er als Malfläche benutzte, kehrte er zurück und gab das Holz dem Feuerdien.
Wir unterhielten den ganzen Tag über solch ein Feuer mühelos; denn den Strand spießte alle zwei Schritte angeschwemmtes, federleicht ausgetrocknetes Holz und warf wechselnde Schatten. Ich legte den Teil eines eisernen Balkongitters, den
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