Die Blechtrommel
Lankes einer verlassenen Strandvilla abgerissen hatte, auf die inzwischen reife Holzkohlenglut. Mit Olivenöl rieb ich den Fisch ein, lagerte ihn auf dem heißen, gleichfalls geölten Rost. Zitronen drückte ich über dem knisternden Kabeljau aus, ließ ihn langsam — denn einen Fisch soll man nicht forcieren — tischgerecht werden.
Unseren Tisch erstellten wir aus mehreren leeren Eimern und einer drübergelegten, ausladenden, mehrmals geknickten Teerpappe. Gabeln und Blechteller führten wir mit uns. Um Lankes abzulenken
-aashungrig wie eine Möwe strich er um den gemächlich durchziehenden Fisch — holte ich meine Trommel aus dem Bunker. Ich bettete sie im Seesand und wirbelte, ständig wechselnd, die Geräusche der Brandung und beginnenden Flut auflockernd, gegen den Wind: Bebras Fronttheater besichtigte den Beton. Von der Kaschubei in die Normandie. Felix und Kitty, die beiden Akrobaten, verknoteten, entknoteten sich auf dem Bunker, sagten gegen den Wind — wie ja auch Oskar gegen den Wind trommelte — ein Gedicht auf, dessen Kehrreim mittem im Krieg ein nahendes, urgemütliches Zeitalter ankündigte: »...und freitags Fisch, auch Spiegeleier, wir nähern uns dem Biedermeier«, deklamierte die sächselnde Kitty; und Bebra, mein weiser Bebra und Hauptmann der Propagandakompanie, nickte; und Roswitha, meine Raguna vom Mittelmeer, hob den Picknickkorb, deckte auf dem Beton, auf Dora sieben den Tisch; auch der Obergefreite Lankes aß vom Weißbrot, trank von der Schokolade, rauchte die Zigaretten des Hauptmanns Bebra ...
»Mensch, Oskar!« rief mich Lankes der Maler zurück. »So möcht ich malen können, wie du trommelst; gib' mich mal'n Zigarett!« Da ließ ich von der Trommel ab, versorgte meinen Reisebegleiter mit einer Zigarette, prüfte den Fisch und fand ihn gut: sanft, weiß und locker quollen seine Augen. Langsam und keine Stelle vergessend drückte ich eine letzte Zitrone über der teils gebräunten, teils geplatzten Haut des Kabeljaus aus.
»Ich han Hunger!« hieß es bei Lankes. Seine langen,'spitzgelben Zähne zeigte er und schlug sich affenartig mit beiden Fäusten die Brust unterm karierten Hemd.
»Kopf oder Schwanz?« gab ich zu bedenken und schob den Fisch auf ein Pergamentpapier, das als Tischdecke die Teerpappe bedeckte. »Wat rätste mir?« Lankes knipste die Zigarette aus und verwahrte die Kippe.
»Als Freund würde ich sagen: Nimm den Schwanz. Als Koch kann ich dir nur den Kopf empfehlen.
Meine Mama jedoch, die eine große Fischesserin war, würde jetzt sagen: Herr Lankes, nehmen Sie den Schwanz, da wissen Sie, was Sie haben. Meinem Vater hingegen pflegte der Arzt zu raten . . .«
»Middem Arzt han ich nix zu tun«, mißtraute mir Lankes.
»Doktor Hollatz riet meinem Vater immer, vom Kabeljau oder, wie man bei uns sagte, vom Dorsch nur den Kopf zu essen.«
»Dann nehm' ich den Schwanz. Du willst mir was andrehen, merk ich doch!« Lankes bewahrte sein Mißtrauen.
»Um so besser für Oskar. Ich weiß den Kopf zu schätzen.«
»Dann nehm' ich doch den Kopp, wenn du so scharf drauf bist.«
»Du hast es schwer, Lankes !« wollte ich den Dialog abschließen. »Der Kopf ist für dich, ich nehm den Schwanz.«
»Was Jong, da han ich dich reinjelegt, oder?«
Oskar gab zu, daß Lankes ihn reingelegt hatte. Wußte ich doch, daß es ihm nur schmecken konnte, wenn er gleichzeitig mit dem Fisch die Gewißheit zwischen den Zähnen hatte, mich reingelegt zu haben. Einen dollen, gerissenen Hund nannte ich ihn, einen Glückspilz, einen Sonntagsjungen — dann fielen wir über den Kabeljau her.
Er nahm das Kopfstück, ich drückte restlichen Zitronensaft übers weiße, auseinanderfallende Fleisch des Schwanzstückes, aus dem sich die butterweichen Knoblauchzehen lösten.
Lankes spreizte Gräten zwischen den Zähnen, spähte zu mir und dem Schwanzstück herüber: »Laß mich mal probieren, von deinem Schwanz.« Ich nickte, er probierte, blieb unschlüssig, bis Oskar von seinem Kopfstück probierte und ihn abermals beruhigte: er habe wie immer das bessere Stück erwischt.
Wir tranken Bordeaux zum Fisch. Ich bedauerte das, hätte lieber Weißwein in den Kaffeetassen gehabt. Lankes wischte meine Bedenken fort, erinnerte sich, daß man zu seiner Obergefreitenzeit in Dora sieben immer nur Rotwein getrunken habe, bis die Invasion begann: »Mensch, waren wir voll, als das hier losging. Der Kowalski, der Scherbach und auch der kleine Leuthold, die jetzt dahinten, hinter Cabourg auffem selben Friedhof
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