Die Blechtrommel
Zwiebelladen bot sich ihm eine weitere Möglichkeit, seinem Schmerz Luft zu machen. Es war ihm zur Gewohnheit geworden, einmal in der Woche die Toilettenfrau grob zu beschimpfen, sie mit oftmals recht altmodischen Ausdrücken wie: Dirne, Metze, Frauenzimmer, Verruchte, Unselige! zu benennen. »Hinaus!« hörte man Schmuh kreischen, »aus meinen Augen, Entsetzliche!« Er entließ die Toilettenfrauen fristlos, stellte eine neue ein, hatte jedoch nach einiger Zeit Schwierigkeiten, da sich keine Toilettenfrauen mehr fanden, mußte also die Stelle an Frauen vergeben, die er schon einmal oder mehrmals hinausgeworfen hatte. Die Toilettenfrauen kamen, zumal sie einen großen Teil der Schmuhschen Schimpfworte nicht verstanden, gerne wieder zurück in den Zwiebelkeller, da sie dort gut verdienten. Das Weinen trieb die Gäste mehr als in anderen Gaststätten auf das verschwiegene Örtchen; auch ist der weinende Mensch großzügiger als der Mensch mit trockenem Auge. Besonders die Herren, die mit hochrotem, zerfließendem und geschwollenem Gesicht »mal nach hinten« verschwanden, griffen tief und gerne in die Börsen. Zudem verkauften die Toilettenfrauen den Gästen des Zwiebelkellers die bekannten Zwiebelmustertaschentücher, denen diagonal die Inschrift: »Im Zwiebelkeller« aufgedruckt war.
Lustig sahen diese Tücher aus, ließen sich nicht nur als Tränentüchlein, auch als Kopftücher verwenden. Die Herren unter den Gästen des Zwiebelkellers ließen aus bunten Vierecken dreieckige Wimpel nähen, hängten die in die Rückfenster ihrer Autos und trugen während der Ferienmonate Schmuhs Zwiebelkeller nach Paris, an die Cöte d'Azur, nach Rom, Ravenna, Rimini, sogar ins ferne Spanien.
Noch eine andere Aufgabe fiel uns Musikern und unserer Musik zu: dann und wann, besonders wenn einige Gäste zwei Zwiebeln kurz nacheinander geschnitten hatten, kam es im Zwiebelkeller zu Ausbrüchen, die allzu leicht zu Orgien hätten werden können. Einerseits liebte Schmuh diese letzte Hemmungslosigkeit nicht, befahl uns, sobald einige Herren die Krawatten lösten, einige Damen an ihren Blusen nestelten, Musik zu machen, mit Musik beginnender Schamlosigkeit zu begegnen;
andererseits war es jedoch immer wieder Schmuh selbst, der den Weg zur Orgie bis zu einem bestimmten Punkte freigab, indem er besonders anfälligen Gästen nach der ersten Zwiebel sogleich eine zweite Zwiebel lieferte.
Der meines Wissens nach größte Ausbruch, den der Zwiebelkeller erlebte, sollte auch für Oskar wenn nicht zu einem Wendepunkt in seinem Leben, so doch zum einschneidenden Erlebnis werden.
Schmuhs Gattin, die lebenslustige Billy, kam nicht oft in den Keller, und wenn sie kam, kam sie mit Freunden, die Schmuh nicht gerne sah. So kam sie eines Abends mit dem Musikkritiker Woode und dem Architekten und Pfeifenraucher Wackerlei. Die beiden Herren gehörten zu den ständigen Gästen des Zwiebelkellers, trugen aber reichlich langweiligen Kummer mit sich: Woode weinte aus religiösen Gründen — er wollte konvertieren oder war schon Konvertit oder konvertierte schon zum zweitenmal — der Pfeifenraucher Wackerlei weinte wegen einer Professur, die er in den zwanziger Jahren einer extravaganten Dänin wegen abgelehnt hatte, die Dänin jedoch nahm einen anderen, einen Südamerikaner, hatte mit dem sechs Kinder, und das kränkte den Wackerlei, das ließ seine Pfeife immer wieder kalt werden. Der etwas boshafte Woode war es, der Schmuhs Gattin zum Zerschneiden einer Zwiebel überredete. Sie tat es, kam zu Tränen, begann auszupacken, stellte Schmuh, den Wirt, bloß, erzählte Dinge, die Oskar Ihnen taktvoll verschweigt, und es verlangte kräftige Männer, als Schmuh sich auf seine Gattin stürzen wollte; denn schließlich lagen überall Küchenmesser auf den Tischen. Man hielt den Zornigen so lange zurück, bis die leichtsinnige Billy mit ihren Freunden Wood und Wackerlei verschwinden konnte.Schmuh war erregt und betroffen. Ich sah es seinen fliegenden Händen an, die immer wieder seinen Zwiebelshawl neu ordneten. Mehrmals verschwand er hinter dem Vorhang, beschimpfte die Toilettenfrau, kam endlich mit einem vollen Korb zurück, verkündete verkrampft und übertrieben lustig den Gästen, er, Schmuh, sei in Gönnerlaune, es gebe jetzt eine Gratisrunde Zwiebeln, und sogleich teilte er aus.
Damals blickte selbst Klepp, dem schließlich jede, noch so peinliche menschliche Situation wie ein vortrefflicher Spaß schmeckte, wenn nicht nachdenklich, so doch angespannt, und
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