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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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goldene Krallen hielten, nannte ich sogleich und, wie sich später herausstellen sollte, treffend einen Aquamarin. Der Ring selbst erwies sich an einer Stelle als so dünn, bis zur Zerbrechlichkeit abgetragen, daß ich ihn als Erbstück wertete. Obgleich Dreck oder, besser gesagt, Erde unter dem Fingernagel einen Rand zeichnete, als hätte der Finger Erde kratzen oder graben müssen, erweckten Schnitt und Nagelbett des Fingernagels einen gepflegten Eindruck. Sonst fühlte sich der Finger, nachdem ich ihn dem Hund aus der lebenswarmen Schnauze genommen hatte, kalt an; auch gab die ihm eigene, gelbliche Blässe der Kälte recht.
    Oskar trug seit Monaten links außen im Brusttäschchen ein dreieckig hervorlugendes Kavalierstüchlein. Dieses Stück Seide zog er hervor, breitete es aus, bettete den Ringfinger darin, erkannte, daß die Innenseite des Fingers bis hoch ins dritte Glied Linien zeichneten, die auf Fleiß, Strebsamkeit, auch auf ehrgeizige Beharrlichkeit des Fingers schließen ließen.
    Nachdem ich den Finger im Tüchlein versorgt hatte, erhob ich mich von der Kabelrolle, tätschelte den Hals des Hundes Lux, machte mich mit Tüchlein und Finger in dem Tüchlein in rechter Hand auf, wollte nach Gerresheim, nach Hause, hatte mit dem Fund dieses und jenes vor, kam auch bis zu dem nahen Zaun eines Schrebergartens — da sprach mich Vittlar an, der in der Astgabel eines Apfelbaumes lag und mich, auch den apportierenden Hund beobachtet hatte.
    DIE LETZTE STRASSENBAHN ODER ANBETUNG EINES

WECKGLASES
    Schon alleine seine Stimme: dieses hochmütige, geschraubte Näseln. Er lag in der Gabel des Apfelbaumes und sagte: »Sie halten sich einen tüchtigen Hund, mein Herr!«
    Ich darauf, etwas fassungslos: »Was machen Sie da auf dem Apfelbaum?« Er zierte sich in der Astgabel, räkelte seinen langen Oberkörper: »Nur Kochäpfel sind es, fürchten Sie bitte nichts.«
    Da mußte ich ihn zurechtweisen: »Was gehen mich Ihre Kochäpfel an? Was habe ich zu befürchten?«
    »Nun«, züngelte er, »Sie könnten mich für die paradiesische Schlange halten, denn auch damals gab es schon Kochäpfel.«
    Ich wütend: »Allegorisches Geschwätz!«
    Er überschlau: »Ja glauben Sie etwa, nur Tafelobst ist eine Sünde wert?«
    Schon wollte ich mich davonmachen. Nichts wäre mir in jenem Moment unerträglicher gewesen als eine Diskussion über die Obstsorten des Paradieses. Da kam er mir direkt, sprang behende aus der Astgabel, stand lang und windig am Zaun: »Was war es denn, was Ihr Hund aus dem Roggen brachte?«
    Warum antwortete ich nur: »Einen Stein brachte er.«
    Das artete zu einem Verhör aus: »Und Sie steckten den Stein in die Tasche?«
    »Ich trage gerne Steine in der Tasche.«
    »Mir sah, was der Hund Ihnen brachte, eher wie ein Stöckchen aus.«
    »Ich bleibe bei Stein, und wenn es zehnmal ein Stöckchen ist oder sein könnte.«
    »Also doch ein Stöckchen?«
    »Von mir aus: Stock oder Stein, Kochäpfel oder Tafelobst...«
    »Ein bewegliches Stöckchen?«
    »Den Hund zieht es heim, ich gehe!«
    »Ein fleischfarbenes Stöckchen?«
    »Passen Sie lieber auf Ihre Äpfel auf! — Komm Lux!«
    »Ein beringtes, fleischfarbenes und bewegliches Stöckchen?«
    »Was wollen Sie von mir? Ich bin ein Spaziergänger, der sich einen Hund ausgeliehen hat.«
    »Sehen Sie, auch ich möchte mir etwas ausleihen. Dürfte ich eine Sekunde lang jenen hübschen Ring über meine kleinen Finger streifen, der an Ihrem Stöckchen glänzte und das Stöckchen zu einem Ringfinger machte? — Vittlar, meine Name. Gottfried von Vittlar. Ich bin der Letzte unseres Geschlechtes.«
    So machte ich Vittlars Bekanntschaft, schloß noch am selben Tage mit ihm Freundschaft, nenne ihn heute noch meinen Freund und sagte deshalb vor einigen Tagen — er besuchte mich — zu ihm: »Ich bin froh, lieber Gottfried, daß du, mein Freund, damals die Anzeige bei der Polizei machtest und nicht irgendein x-beliebiger Mensch.«
    Wenn es Engel gibt, sehen sie sicher aus wie von Vittlar: Lang, windig, lebhaft, zusammenklappbar, eher die unfruchtbarste aller Straßenlaternen umarmend als ein weiches, zuschnappendes Mädchen.
    Man bemerkt Vittlar nicht sogleich. Eine bestimmte Seite zeigend, kann er, je nach Umgebung, zum Faden, zur Vogelscheuche, zum Garderobenständer, zu einer liegenden Astgabel werden. Deshalb fiel er mir auch nicht auf, als ich auf der Kabeltrommel saß und er im Apfelbaum lag. Selbst der Hund bellte nicht; weil Hunde einen Engel weder wittern noch sehen noch

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