Die Blechtrommel
interessantesten Prozesse der Nachkriegszeit den Namen: Schließlich nennt man mich, Gottfried von Vittlar, den wichtigsten Zeugen im Ringfingerprozeß.
Da der Angeklagte ruhig blieb, blieb auch ich ruhig. Ja, seine Ruhe teilte sich mir mit. Und als der Angeklagte den Finger mit Ring sorgfältig in jenes Tüchlein wickelte, das er zuvor wie ein Kavalier in der Brusttasche hatte blühen lassen, empfand ich Sympathie für den Menschen auf der Kabeltrommel: ein ordentlicher Herr, dachte ich, den möchtest du kennenlernen.
So rief ich ihn an, als er mit seinem Leihhund in Richtung Gerresheim davon wollte. Er aber reagierte zuerst ärgerlich, fast arrogant. Bis heute kann ich nicht begreifen, warum der Angesprochene in mir, nur weil ich im Apfelbaum lag, das Symbol einer Schlange sehen wollte. Auch verdächtigte er die Kochäpfel meiner Mutter, sagte, die seien gewiß paradiesischer Art.
Nun mag es in der Tat zu den Angewohnheiten des Bösen gehören, sich vorzugsweise in Astgabeln zu lagern. Mich jedoch bewog nichts anderes als eine mir mühelos geläufige Langeweile, mehrmals in der Woche den Liegeplatz im Apfelbaum aufzusuchen. Doch vielleicht ist die Langeweile schon das Böse an sich. Was aber trieb den Angeklagten vor die Mauern der Stadt Düsseldorf? Ihn trieb, wie er mir später gestand, die Einsamkeit. Aber ist die Einsamkeit nicht der Vorname der Langeweile? Diese Überlegungen stelle ich alle an, um den Angeklagten zu erklären, und nicht, um ihn zu belasten. War es doch gerade seine Spielart des Bösen, sein Trommeln, das das Böse rhythmisch auflöste, die ihn mir sympathisch machte, so daß ich ihn ansprach und Freundschaft mit ihm schloß. Auch jene Anzeige, die mich als Zeugen, ihn als Angeklagten vor die Schranken des hohen Gerichtes zitiert, ist ein von uns erfundenes Spiel, ein Mittelchen mehr, unsere Langeweile und Einsamkeit zu zerstreuen und zu ernähren.
Auf meine Bitte hin streifte mir der Angeklagte nach einigem Zögern den Ring des Ringfingers, der sich leicht abziehen ließ, auf meinen linken kleinen Finger. Er paßte gut und erfreute mich.
Selbstverständlich verließ ich noch vor der Ringanprobe meine eingelegene Astgabel. Wir standen auf beiden Seiten des Zaunes, tauschten die Namen, sprachen uns ein, indem wir einige politische Themen berührten, und dann gab er mir den Ring. Den Finger behielt er,hielt ihn behutsam. Wir waren uns einig, daß es sich um einen weiblichen Finger handelte. Während ich den Ring trug und ihm Licht gab, begann der Angeklagte mit der freien linken Hand dem Zaun einen tänzerischen, heiter und aufgeräumten Rhythmus anzuschlagen. Nun ist der Holzzaun vor dem Schrebergarten meiner Mutter von so haltloser Art, daß er dem Trommlerbegehren des Angeklagten klappernd, vibrierend, auf hölzerne Weise entgegenkam. Ich weiß nicht, wie lange wir so standen und uns mit den Augen verständigten. Im harmlosesten Spiel fanden wir uns, als ein Flugzeug in mittlerer Höhe seine Motoren hören ließ. Wahrscheinlich wollte die Maschine in 'Lohhausen landen. Obgleich es uns beiden wissenswert war, ob das Flugzeug mit zwei oder vier Motoren zur Landung ansetzen würde, lösten wir dennoch nicht die Blicke voneinander, sprachen das Flugzeug nicht an, nannten dieses Spiel später, als wir dann und wann Gelegenheit fanden, es zu üben, Schugger Leos Askese; denn der Angeklagte will vor Jahren einen Freund gleichen Namens besessen haben, mit dem er dieses Spielchen vorzugsweise auf Friedhöfen spielte.
Nachdem das Flugzeug seinen Landeplatz gefunden hatte — ich kann wirklich nicht sagen, ob es sich um eine zwei-oder viermotorige Maschine handelte — gab ich den Ring zurück. Der Angeklagte steckte ihn dem Ringfinger an, benutzte abermals sein Taschentüchlein als Verpackungsmaterial und forderte mich auf, seinen Weg zu begleiten.
Das war am siebenten Juli neunzehnhunderteinundfünfzig. In Gerresheim nahmen wir an der Endstation der Straßenbahn nicht etwa die Bahn, sondern ein Taxi. Der Angeklagte hatte später noch oft Gelegenheit, sich mir gegenüber großzügig zu zeigen. Wir fuhren in die Stadt, ließen das Taxi vor der Hundeleihanstalt an der Rochuskirche warten, gaben den Hund Lux ab, fanden wieder ins Taxi, das führte uns quer durch die Stadt über Bilk, Oberbilk zum Werstener Friedhof, dort mußte Herr Matzerath über zwölf Mark bezahlen; dann erst besuchten wir das Grabsteingeschäft des Steinmetz Korneff.
Dort war es sehr schmutzig, und ich war froh, als der
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