Die Blechtrommel
anbellen können.
»Sei doch so gut, lieber Gottfried«, bat ich ihn vorgestern, »und schicke mir eine Abschrift jener Anzeige vor Gericht, die du vor etwa zwei Jahren machtest, die meinen Prozeß auslöste.«
Hier habe ich die Abschrift, lasse nun ihn, der vor Gericht gegen midi aussagte, sprechen:
Ich, Gottfried von Vittlar, lag an jenem Tage in der Gabel eines Apfelbaumes, der in meiner Mutter Schrebergarten jedes Jahr soviele Kochäpfel trägt, wie unsere sieben Weckgläser an Apfelmus fassen können. In der Astgabel lag ich, lag also auf der Seite, den linken Beckenknochen im tiefsten, etwas bemoosten Punkt der Gabel gebettet. Meine Füße wiesen gegen die Glashütte Gerresheim. Ich blickte — wohin blickte ich? — geradeaus blickte ich und erwartete, daß sich etwas in meinem Blickfeld zutragen würde.
Der Angeklagte, der heute mein Freund ist, trat in mein Blickfeld. Ein Hund begleitete ihn, umkreiste ihn, benahm sich, wie ein Hund sich benimmt, und hieß, wie mir der Angeklagte später verriet, Lux, war ein Rottweiler, den man in der Nähe der Rochuskirche, in einer Hundeleihanstalt ausleihen konnte.Der Angeklagte setzte sieh auf jene leere Kabeltrommel, die seit Kriegsende dem Schrebergarten meiner Mutter Alice von Vittlar vorliegt. Wie das hohe Gericht weiß, muß man den Körperwuchs des Angeklagten klein, auch verwachsen nennen. Das fiel mir auf. Noch merkwürdiger berührte mich das Benehmen des kleinen, gut angezogenen Herrn. Er trommelte mit zwei dürren Ästen gegen den Rost der Kabeltrommel. Wenn man jedoch bedenkt, daß der Angeklagte von Beruf Trommler ist und, wie sich erwiesen hat, wo er geht und steht, diesen Trommlerberuf ausübt, auch daß die Kabeltrommel — die heißt nicht umsonst so — jeden, selbst einen Laien zum Trommeln verführen kann, wird man sagen müssen: der Angeklagte Oskar Matzerath nahm an einem gewittrigen Sommertag auf jener Kabeltrommel Platz, die dem Schrebergarten der Frau Alice von Vittlar vorlag, und intonierte mit zwei ungleichgroßen dürren Weidenästen rhythmisch geordnete Geräusche.
Weiterhin sage ich aus, daß der Hund Lux längere Zeit lang in einem schnittreifen Roggenfeld verschwand. Über die Länge der Zeit befragt, wüßte ich keine Antwort zu geben, da mir, sobald ich in der Astgabel unseres Apfelbaumes liege, jeder Sinn für die Länge oder Kürze einer Zeit abgeht. Wenn ich dennoch sage, der Hund blieb längere Zeit verschwunden, bedeutet das, daß ich den Hund vermißte, weil er mir mit seinem schwarzen Fell und den Schlappohren gefiel.
Der Angeklagte jedoch — so glaube ich sagen zu dürfen — vermißte den Hund nicht.
Als der Hund Lux aus dem schnittreifen Roggenfeld zurückkam, trug er etwas in der Schnauze. Nicht etwa, daß ich erkannte, was der Hund in der Schnauze hielt! An einen Stock dachte ich, an einen Stein, weniger an eine Blechbüchse oder gar an einen Blechlöffel. Erst als der Angeklagte das corpus delicti der Hundeschnauze entnahm, erkannte ich deutlich, um was es sich handelte. Doch von jenem Augenblick an, da der Hund die noch gefüllte Schnauze am — glaube ich — linken Hosenbein des Angeklagten rieb, bis zu dem leider nicht mehr zu fixierenden Zeitpunkt, da der Angeklagte besitzergreifend hinein griff, vergingen, vorsichtig gesagt, mehrere Minuten.
So sehr sich der Hund auch um die Aufmerksamkeit seines Leihherren bemühte: der trommelte unentwegt in jener eintönig einprägsamen, dennoch unfaßbaren Art, wie Kinder trommeln. Erst als der Hund zu einer Unart Zuflucht nahm, die feuchte Schnauze zwischen die Beine des Angeklagten stieß, ließ jener die Weidenäste sinken und trat — ich erinnere mich genau — rechtsbeinig den Hund. Der schlug einen halben Bogen, näherte sich hündisch zitternd abermals, bot seine gefüllte Schnauze an.
Ohne sich zu erheben, sitzend also, griff der Angeklagte — diesmal linkshändig — dem Hund zwischen die Zähne. Seines Fundes ledig, trat der Hund Lux mehrere Meter hinter sich. Der Angeklagte jedoch blieb sitzen, hielt den Fund in der Hand, schloß die Hand, öffnete sie wieder, schloß abermals und ließ, als er die Hand wieder öffnete, etwas an dem Fund glitzern. Nachdem sich der Angeklagte an den Anblick des Fundes gewöhnt hatte, hielt er ihn mit Daumen und Zeigefinger senkrecht hoch, etwa in Augenhöhe.
Jetzt erst nannte ich für mich den Fund einen Finger, erweiterte, des Glitzerns wegen, den Begriff, sagte Ringfinger und gab damit, ohne es zu ahnen, einem der
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