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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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violetten Sprung machte. Und sie schlug, als ich ihr die Hand nicht zum Draufschlagen anbieten wollte, auf meine Trommel. Auf mein Blech schlug sie. Sie, die Spollenhauersche, schlug auf meine Blechtrommel. Was hatte die zu schlagen? Gut, wenn sie schlagen wollte, warum dann auf meine Trommel? Saßen nicht gewaschene Lümmel genug hin ter mir? Mußte es unbedingt mein Blech sein?
    Mußte sie, die nichts, rein gar nichts von der Trommelei verstand, sich an meiner Trommel vergreifen? Was blitzte ihr da im Auge? Wie hieß das Tier, das schlagen wollte? Welchem Zoo entsprungen, welche Nahrung suchend, wonach läufig? — Es kam Oskar an, es drang ihm, ich weiß nicht aus welchen Gründen aufsteigend, durch die Schuhsohlen, Fußsohlen, fand hoch, besetzte seine Stimmbänder, ließ ihn einen Brunstschrei ausstoßen, der gereicht hätte, eine ganze herrliche, schönfenstrige, lichtfangende, lichtbrechende, gotische Kathedrale zu entglasen.Ich formte mit anderen Worten einen Doppelschrei, der beide Brillengläser der Spollenhauer wahrhaft zu Staub werden ließ. Mit leicht blutenden Augenbrauen und aus nunmehr leeren Brillenfassungen blinzelnd, tastete sie sich rückwärts, begann schließlich häßlich und für eine Volksschullehrerin viel zu unbeherrscht zu greinen, während die Bande hinter mir ängstlich verstummte, teils unter den Bänken verschwand, teils die Zähnchen klappern ließ. Einige rutschten von Bank zu Bank den Müttern entgegen. Die jedoch, da sie den Schaden begriffen, suchten den Schuldigen und wollten über meine Mama herfallen, wären wohl auch über meine Mama hergefallen, hätte ich mich nicht, meine Trommel greifend, aus der Bank geschoben.
    An der halbblinden Spollenhauer vorbei fand ich zu meiner von Furien bedrohten Mama, faßte sie bei der Hand, zog sie aus dem zugigen Klassenzimmer der Klasse la. Hallende Korridore. Steintreppen für Riesenkinder. Brotreste in sprudelnden Granitbecken. In der offenen Turnhalle zitterten Knaben unterm Reck. Mama hielt noch immer das Zettelchen. Vor dem Portal der Pestalozzischule nahm ich es ihr ab und machte aus einem Stundenplan eine sinnlose Papierkugel.
    Dem Fotografen jedoch, der zwischen den Säulen des Portals auf die Erstkläßler mit den Schultüten und Müttern wartete, erlaubte Oskar, eine Aufnahme von ihm und seiner bei all dem Durcheinander nicht verlorengegangenen Schultüte zu machen. Die Sonne kam hervor, über uns summten Klassenzimmer. Der Fotograf stellte Oskar vor die Kulisse einer Schultafel, auf der geschrieben stand: Mein erster Schultag.

RASPUTIN UND DAS ABC
    Meinem Freund Klepp und dem mit halbem Ohr hinhörenden Pfleger Bruno, Oskars erste Begegnung mit dem Stundenplan erzählend, sagte ich soeben: Auf jener Schultafel, die dem Fotografen den traditionellen Hintergrund für postkartengroße Aufnahmen sechsjähriger Knaben mit Tornistern und Schultüten abgab, stand geschrieben: Mein erster Schultag.
    Selbstverständlich war dieses Sätzchen nur den Müttern leserlich, die hinter dem Fotografen standen und aufgeregter als ihre Knaben taten. Die Knaben vor der Tafel mit Inschrift konnten allenfalls ein Jahr später, entweder bei der österlichen Einschulung der neuen Erstkläßler oder auf den ihnen gebliebenen Fotos entziffern, daß jene bildschönen Aufnahmen anläßlich ihres ersten Schultages gemacht worden waren.
    Sütterlinschrift kroch bösartig spitzig und in den Rundungen falsch, weil ausgestopft, über die Schultafel, kreidete jene, den Anfang eines neuen Lebensabschnittes markierende Inschrift. In der Tat läßt sich gerade die Sütterlinschrift für Markantes, Kurzformuliertes, für Tageslosungen etwa, gebrauchen. Auch gibt es gewisse Dokumente, die ich zwar nie gesehen habe, die ich mir dennoch mit Sütterlinschrift beschrieben vorstelle. Ich denke da an Impfscheine, Sporturkunden und handgeschriebene Todesurteile. Schon damals, da ich Sütterlinschrift zwar durchschauen, aber nicht lesen konnte, wollte die Doppelschlinge des Sütterlin M, mit dem die Inschrift begann, tückisch und nach Hanf riechend, mich ans Schafott gemahnen.
    Dennoch hätte ich's gerne Buchstabe für Buchstabe gelesen und nicht nur dunkel geahnt. Es soll ja niemand glauben, ich hätte meine Begegnung mit dem Fräulein Spollenhauer von so hoher Warte aus glaszersingend gestaltet und als revoltierende Protesttrommelei betrieben, weil ich des ABC mächtig gewesen wäre. O nein, ich wußte allzu gut, daß es mit dem Durchschauen der Sütterlinschrift nicht

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