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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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während du nicht einmal die »Neuesten Nachrichten« richtig zu halten weißt.
    Leichter Neid, sagte ich soeben, mehr war es nicht. Bedurfte es doch nur einer flüchtigen Geruchsprobe, um von der Schule endgültig die Nase voll zu haben. Haben Sie einmal an den schlechtausgewaschenen, halbzerfressenen Schwämmen und Läppchen jener abblätternd gelbumrandeten Schiefertafeln geschnuppert, die im billigsten Leder der Schultornister die Ausdünstungen aller Schönschreiberei, den Dunst des kleinen und großen Einmaleins, den Schweiß quietschender, stockender, verrutschender, mit Spucke befeuchteter Griffel aufbewahren? Dann und wann, wenn aus der Schule heimkehrende Schüler in meiner Nähe die Tornister ablegten, um Fußball oder Völkerball zu spielen, bückte ich mich zu den in der Sonne dörrenden Schwämmen und stellte mir vor, daß ein eventuell vorhandener Satan in seinen Achselhöhlen dererlei säuerliche Wolken züchte.
    Die Schule der Schiefertafeln war also kaum nach meinem Geschmack. Oskar will aber nicht behaupten, daß jenes Gretchen Scheffler, das bald darauf seine Ausbildung in die Hand nahm, ihm gemäßen Geschmack verkörperte.
    Alles Inventar der Schefflerschen Bäckerwohnung im Kleinhammerweg beleidigte mich. Diese Zierdeckchen, wappenbestickten Kissen, in Sofaecken lauernden Käthe-Kruse-Puppen, Stofftiere, wohin man auch trat, Porzellan, das nach einem Elefanten verlangte, Reiseandenken in jeder Blickrichtung, angefangenes Gehäkeltes, Gestricktes, Besticktes, Geflochtenes, Geknotetes, Geklöppeltes und mit Mausezähnchen Umrandetes. Zu dieser süßniedlichen, entzückend gemütlichen, erstickend winzigen, im Winter überheizten, im Sommer mit Blumen vergifteten Behausung fällt mir nur eine Erklärung ein: Gretchen Scheffler hatte keine Kinder, hätte so gerne Kinderchen zum Bestricken gehabt, hätte, ach lag es am Scheffler, lag es an ihr, so zum Auffressen gerne ein Kindchen behäkelt, beperlt, umrandet und mit Kreuzstichküßchen besetzt.
    Hier trat ich ein, um das kleine und große ABC zu lernen. Mühe gab ich mir, daß kein Porzellan oder Reiseandenken zu Schanden wurde. Meine glastötende Stimme ließ ich sozusagen zu Hause, drückte ein Auge zu, wenn das Gretchen befand, es sei nun genug getrommelt worden, und mir mit Gold-und Pferdezähnen lächelnd die Trommel von den Knien zog, das Blech zwischen Teddybären legte.
    Ich befreundete mich mit zwei Käthe-Kruse-Puppen, drückte die Bälge an mich, klimperte wie verliebt mit den Wimpern der immer erstaunt blickenden Damen, damit diese falsche, doch deshalb um so echter wirkende Freundschaft mit Puppen das zwei glatt, zwei kraus gestrickte Herz des Gretchens bestricke.
    Mein Plan war nicht schlecht. Schon beim zweiten Besuch öffnete Gretchen ihr Herz, das heißt, sie ribbelte es auf, wie man Strümpfe aufribbelt, zeigte mir den ganzen langen, an einigen Stellen schon Knötchen zeigenden fadenscheinigen Faden, indem sie alle Schränke, Kisten und Schächtelchen vor mir aufschloß, den mit Perlen besetzten Plunder vor mir ausbreitete, Stapel Kinderjäckchen, Kinderlätzchen, Kinderhöschen, die für Fünflinge gereicht hätten, mir anhielt, anzog und wieder abnahm.
    Dann zeigte sie Schefflers im Kriegerverein erworbene Schützenabzeichen, Fotos danach, die sich zum Teil mit unseren Fotos deckten, und endlich, da sie den Babykram noch einmal anfaßte und irgend etwas Strampeliges suchte, da endlich kamen Bücher zum Vorschein; hatte Oskar doch fest damit gerechnet, Bücher hinter dem Babykram zu finden; hatte Oskar sie doch mit Mama über Bücher sprechen hören; wußte er doch, wie eifrig die beiden, da sie noch verlobt und schließlich fast gleichzeitig jung verheiratet waren, Bücher getauscht, Bücher aus der Leihbücherei am Filmpalast entliehen hatten, um mit Lesestoff vollgepumpt der Kolonialwarenhändlerehe und Bäckerehe mehr Welt, Weite und Glanz vermitteln zu können.
    Viel war es nicht, was Gretchen mir zu bieten hatte. Sie, die nicht mehr las, seitdem sie nur noch strickte, mochte wohl wie Mama, die wegen Jan Bronski nicht mehr zum Lesen kam, die stattlichen Bände der Buchgemeinschaft, deren Mitglieder beide längere Zeit waren, an Leute verschenkt haben, die noch lasen, weil sie nicht strickten und auch keinen Jan Bronski hatten.
    Auch schlechte Bücher sind Bücher und deshalb heilig. Was ich da fand, stellte Kraut und Rüben dar, stammte wohl zum guten Teil aus der Bücherkiste ihres Bruders Theo, der auf der Doggerbank den

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