Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Schaden anrichtend, am rechten Brillenglas kratzte: sie gab die nackte Gewalt, die ihr die Knöchel schon weiß kreidete, auf, vertrug wohl das Schaben am Glas nicht, das befahl ihr eine Gänsehaut, fröstelnd ließ sie von meiner Trommel ab, sagte: »Du bist aber ein böser Oskar«, warf meiner Mama, die nicht wußte, wo hinblicken, einen vorwurfsvollen Blick zu, ließ mir meine hellwache Trommel, machte kehrt, marschierte mit flachen Absätzen zum Pult, kramte aus ihrer Aktentasche eine andere, wahrscheinlich die Lesebrille hervor, nahm sich jenes Gestell, an dem meine Stimme geschabt hatte, wie man mit Fingernägeln an Fensterscheiben schabt, mit entschiedener Bewegung von der Nase, tat so, als hätte ich ihr die Brille geschändet, setzte sich, den kleinen Finger beim Aufsetzen wegspreizend, das zweite Gestell auf die Nase, straffte dann ihre Figur, daß es knackte, und gab, während sie abermals in die Aktentasche langte, zu verstehen: »Ich lese euch jetzt den Stundenplan vor.«
    Einen Stoß Zettel fischte sie aus dem Schweinsleder, hob einen Zettel für sich ab, gab den Rest an die Mütter, so auch an Mama weiter und verriet endlich den schon unruhig werdenden Sechsjährigen, was der Stundenplan zu bieten hatte. »Montag: Religion, Schreiben, Rechnen, Spielen; Dienstag: Rechnen,Schönschreiben,Singen,Naturkunde,-Mittwoch: Rechnen, Schreiben, Zeichnen, Zeichnen; Donnerstag: Heimatkunde, Rechnen, Schreiben, Religion; Freitag: Rechnen, Schreiben, Spielen, Schönschreiben; Sonnabend: Rechnen, Singen, Spielen, Spielen.«
    Das verkündigte Fräulein Spollenhauer wie ein unabänderliches Schicksal, gab diesem Produkt einer Volksschullehrerkonferenz ihre gestrengte, keinen Buchstaben verschmähende Stimme, wurde dann, sich ihrer Seminarzeit erinnernd, fortschrittlich milde, jauchzte, in erzieherische Lustigkeit ausbrechend: »Das, liebe Kinder, wollen wir nun alle zusammen wiederholen. Bitte — Montag?«
    Die Horde brüllte Montag.
    Sie darauf: »Religion?« Die getauften Heiden brüllten das Wörtchen Religion. Ich schonte meine Stimme, trommelte dafür die religiösen Silben aufs Blech.
    Hinter mir schrien sie, durch die Spollenhauer veranlaßt: »Schrei — ben!« Zweimal gab meine Trommel Antwort. »Rech — nen!« Abermals zwei Schläge.
    So ging das Geschrei hinter mir, das Vorbeten der Spollenhauer vor mir weiter, und ich schlug mäßig, gute Miene zum läppischen Spiel machend, die Silben auf meinem Blech an, bis die Spollenhauer — ich weiß nicht auf wessen Geheiß — aufsprang, offensichdich erbost —doch nicht etwa wegen der Lümmel hinter mir wurde sie sauer — ich gab ihr hektisches Wangenrot, Oskars harmlose Trommel war ihr Stein des Anstoßes genug, einen taktsicheren Trommler ins Gebet zu nehmen.
    »Oskar, du wirst jetzt auf mich hören; Donnerstag: Heimatkunde?« Das Wörtchen Donnerstag ignorierend, schlug ich viermal für Heimatkunde, fürs Rechnen und Schreiben je zweimal, der Religion widmete ich, wie es sich gehört, nicht etwa vier, sondern drei dreieinige, alleinseligmachende Trommelschläge.
    Aber die Spollenhauer bemerkte die Unterschiede nicht. Ihr war alle Trommelei gleich zuwider.
    Zehnmal zeigte sie mir, wie schon vorher, die abgehacktesten Fingernägel und wollte zehnmal zugreifen.
    Doch bevor sie noch mein Blech berührte, ließ ich schon meinen glastötenden Schrei los, der den drei übergroßen Klassenfenstern die oberen Scheiben nahm. Einem zweiten Schrei fielen die mittleren Fenster zum Opfer. Ungehindert drang die milde Frühlingsluft in den Klassenraum. Daß ich mit einem dritten Schrei auch die unteren Fensterscheiben tilgte, war im Grunde überflüssig, ja reiner Übermut, denn die Spollenhauer zog schon beim Versagen der oberen und mittleren Scheiben ihre Krallen ein.
    Anstatt sich aus reinem und künstlerisch fragwürdigem Mutwillen an den letzten Scheiben zu vergehen, hätte Oskar weiß Gott klüger gehandelt, wenn er die zurücktaumelnde Spollenhauer im Auge behalten hätte.
    Weiß der Teufel, wo sie den Rohrstock hergezaubert haben mochte. Jedenfalls war er auf einmal da, zitterte in jener sich mit der Frühlingsluft kreuzenden Klassenluft, und durch diese Luftmischung ließ sie ihn sausen, ließ ihn biegsam sein, hungrig, durstig, auf platzende Haut versessen sein, auf das Sssst, auf die vielen Vorhänge, die ein Rohrstock vorzutäuschen vermag, auf die Befriedigung beider Teile. Und sie ließ ihn auf meinen Pultdeckel knallen, daß die Tinte im Fäßchen einen

Weitere Kostenlose Bücher