Die Blechtrommel
geöffnete Münder fingern. Ich weiß nicht, ob sie spielten oder tranken. Manchmal richteten sich zwei Knaben fast gleichzeitig und mit geblähten Backen auf, um sich unanständig laut das sicher mit Speichel gemischte und von Brotkrümeln durchsetzte, mundwarme Wasser ins Gesicht zu prusten. Ich, der ich beim Eintritt in den Vorraum leichtsinnigerweise einen Blick in die links anschließende, offene Turnhalle geworfen hatte, verspürte, das lederne Langpferd, die Kletterstangen und Kletterseile, das entsetzliche, immer eine Riesenwelle abverlangende Reck sichtend, einen echten, durch nichts zu überredenden Durst und hätte gleich den anderen Knaben gerne einen Schluck Wasser zu mir genommen. Es war mir aber unmöglich, Mama, die mich an der Hand hielt, zu bitten, Oskar, den Dreikäsehoch, über solch ein Becken zu heben. Selbst wenn ich mir meine Trommel untergestellt hätte, die Fontäne wäre mir unerreichbar geblieben. Als ich jedoch leicht springend einen Blick über den Rand eines dieser Becken warf und bemerken mußte, wie fettige Brotreste den Abfluß des Wassers beträchtlich blockierten und also in der Schale eine üble Brühe stand, verging mir der Durst, den ich mir zwar in Gedanken, aber dennoch leibhaftig zwischen Turngeräten in einer Turnhallenwüstenei irrend, angespeichert hatte.
Mama führte mich monumentale, für Riesen geschlagene Treppen hoch, durch hallende Korridore in einen Raum, über dessen Tür ein Schildchen mit der Aufschrift la hing. Der Raum war voller Knaben in meinem Alter. Die Mütter der Knaben drückten sich an die Wand gegenüber der Fensterfront und hielten die traditionellen spitzbunten, oben mit Seidenpapier verschlossenen, mich überragenden Tüten für den ersten Schultag hinter verschränkten Armen. Mama trug auch solch eine Tüte bei sich.
Als ich an ihrer Hand eintrat, lachten das Volk und gleichfalls des Volkes Mütter. Einem dicklichen Knaben, der mir auf meine Trommel pauken wollte, mußte ich, um nicht Glas zersingen zu müssen, mehrmals gegen das Schienbein treten, woraufhin der Bengel umfiel, mit der Frisur gegen eine Schulbank schlug, weshalb ich von Mama eins auf den Hinterkopf bekam. Der Bengel schrie.
Natürlich schrie ich nicht, denn ich schrie nur, wenn man mir meine Trommel wegnehmen wollte.
Mama, der dieser Auftritt vor den anderen Müttern peinlich war, schob mich in die erste Bank der Bankabteilung neben den Fenstern. Selbstverständlich war die Bank zu groß. Doch weiter nach hin-ten hin, wo das Volk immer gröber und sommersprossiger wurde, waren die Bänke noch größer.
Ich gab mich zufrieden, saß ruhig, weil ich keinerlei Grund zur Beunruhigung hatte. Mama, die mir immer noch verlegen zu sein schien, drückte sich zwischen die anderen Mütter. Wahrscheinlich schämte sie sich meiner sogenannten Zurückgebliebenheit wegen vor ihren Artgenossinnen. Die taten, als wenn sie Grund gehabt hätten, auf ihre, für mein Gefühl viel zu schnell gewachsenen Lümmel stolz zu sein.
Ich konnte nicht aus dem Fenster auf die Fröbelwiese blicken, da mir die Höhe des Fensterbordes genauso wenig angemessen war wie die Größe der Schulbank. Dabei hätte ich gerne einen Blick auf die Fröbelwiese geworfen, auf der, wie ich wußte, Pfadfinder unter der Leitung des Gemüsehändlers Greff Zelte bauten, Landsknecht spielten und, wie es sich für Pfadfinder gehört, Gutes taten. Nicht etwa, daß ich an dieser übertriebenen Verherrlichung des Lagerlebens Anteil genommen hätte. Nur die Figur des kurzbehosten Greff interessierte mich. War seine Liebe zu schmalen, möglichst großäugigen, wenn auch bleichen Knaben doch so groß, daß er ihr die Uniform des Boy-Scout— Erfinders Baden-Powell gegeben hatte.
Durch eine infame Architektur um einen lohnenden Ausblick gebracht, schaute ich mir nur noch den Himmel an und fand schließlich darin Genüge. Immer neue Wolken wanderten von Nordwest nach Südost aus, als hätte jene Richtung den Wolken etwas Besonderes zu bieten gehabt. Meine Trommel, die bisher keinen Schlag lang ans Auswandern gedacht hatte, klemmte ich. mir zwischen die Knie und das Fach der Schulbank. Die für den Rücken bestimmte Lehne schützte Oskars Hinterkopf. Hinter mir schnatterten, brüllten, lachten, weinten und tobten meine sogenannten Mitschüler. Man warf mit Papierkugeln nach mir, aber ich drehte mich nicht, hielt vielmehr die zielbewußten Wolken für ästhetischer als den Anblick einer Horde Grimassen schneidende, völlig überdrehte
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