Die Blechtrommel
Rüpel.
Es wurde ruhiger in der Klasse la, als eine Frau eintrat, die sich hinterher Fräulein Spollenhauer nannte. Ich brauchte nicht ruhiger zu werden, da ich zuvor schon still und fast in mich gekehrt auf kommende Dinge gewartet hatte. Um ganz ehrlich zu sein: Oskar hatte es nicht einmal für nötig befunden, auf Kommendes zu warten, er bedurfte ja keiner Zerstreuung, wartete also nicht, sondern saß, nur seine Trommel spürend, im Schulgebänk und hatte es vergnügt mit den Wolken hinter oder vielmehr vor den österlich geputzten Schulfensterscheiben.
Fräulein Spollenhauer trug ein eckig zugeschnittenes Kostüm, das ihr ein trocken männliches Aussehen gab. Dieser Eindruck wurde noch durch den knappsteifen, Halsfalten ziehenden, am Kehlkopf schließenden und, wie ich zu bemerken glaubte, abwaschbaren Hemdkragen verstärkt.
Kaum hatte sie in flachen Wanderschuhen die Klasse betreten, wollte sie sich sogleich beliebt machen und stellte die Frage: »Nun, liebe Kinder, könnt ihr auch ein Liedchen singen?«
Als Antwort wurde ihr Gebrüll zuteil, welches sie jedoch als Bejahung ihrer Frage wertete, denn sie stimmte geziert hoch das Frühlingslied »Der Mai ist gekommen« an, obgleich wir Mitte April hatten.
Kaum hatte sie den Mai verkündet, brach die Hölle los. Ohne auf das Zeichen zum Einsatz zu warten, ohne den Text recht zu kennen, ohne das geringste Gefühl für den simplen Rhythmus dieses Liedchens, begann die Bande hinter mir, den Putz an den Wänden lockernd, durcheinanderzugrölen.
Trotz ihrer gelblichen Haut, trotz Bubikopf und unterm Kragen vorlugendem männlichen Schlips tat mir die Spollenhauer leid. Von den Wolken, die offensichtlich schulfrei hatten, mich losreißend, raffte ich mich auf, zog mit einem Griff die Stöcke unter meinen Hosenträgern hervor und trommelte laut und einprägsam den Takt des Liedes. Aber die Bande hinter mir hatte keinen Sinn und kein Ohr dafür.
Nur Fräulein Spollenhauer nickte mir aufmunternd zu, lächelte die an der Wand klebende Mütterschar an, blinzelte besonders zu Mama hinüber und veranlaßte mich, dieses als Zeichen zu ruhigem, schließlich kompliziertem, alle meine Kunststücke aufzeigendem Weitertrommeln zu werten. Längst hatte die Bande hinter mir aufgehört, die barbarischen Stimmen zu mischen. Schon bildete ich mir ein, meine Trommel unterrichte, lehre, mache meine Mitschüler zu meinen Schülern, da stellte sich die Spollenhauer vor meine Bank, blickte mir aufmerksam und nicht einmal ungeschickt, vielmehr selbstvergessen lächelnd auf Hände und Trommelstöcke, versuchte sogar, meinen Takt mitzuklopfen, gab sich für ein Minütchen als ein nicht unsympathisches älteres Mädchen, das, seinen Lehrberuf vergessend, der ihm vorgeschriebenen Existenzkarikatur entschlüpft, menschlich wird, das heißt, kindlich, neugierig, vielschichtig, unmoralisch.
Als es dem Fräulein Spollenhauer jedoch nicht gelang, meinen Trommlertakt sogleich und richtig nachzuklopfen, verfiel sie wieder ihrer alten gradlinig dummen, obendrein schlechtbezahlten Rolle, gab sich den Ruck, den sich Lehrerinnen dann und wann geben müssen, sagte: »Du bist sicher der kleine Oskar. Von dir haben wir schon viel gehört. Wie schön du trommeln kannst. Nicht wahr, Kinder? Unser Oskar ist ein guter Trommler?«
Die Kinder brüllten, die Mütter rückten enger zusammen, die Spollenhauer hatte sich wieder in der Gewalt. »Doch nun«, fistelte sie, »wollen wir die Trommel im Klassenschrank verwahren, sie wird müde sein und schlafen wollen. Nachher, wenn die Schule aus ist, sollst du deine Trommel wiederbekommen.«
Noch während sie diese scheinheilige Rede abspulte, zeigte sie mir ihre kurzbeschnittenen Lehrerinnenfingernägel, wollte sich an der Trommel, die, bei Gott, weder müde war noch schlafen wollte, zehnmal kurzbeschnitten vergreifen. Vorerst hielt ich fest, schloß die Arme in Pulloverärmeln um das weißrotgeflammte Rund, blickte sie an, bückte dann, da sie unentwegt den uralten schablonenhaften Volksschullehrerinnenanblick gewährte, durch sie hindurch, fand im Inneren des Fräulein Spollenhauer Erzählenswertes genug für drei unmoralische Kapitel, riß mich aber, da es um meine Trommel ging, von' ihrem Innenleben los und registrierte, als mein Blick zwischen ihren Schulterblättern hindurchfand, auf guterhaltener Haut einen guldenstückgroßen, langbehaarten Leberfleck.
Sei es, daß sie sich von mir durchschaut fühlte, tat es meine Stimme, mit der ich ihr warnend, keinen
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