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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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eine alte »Neueste Nachrichten« hervor, glättete das Papier, kauerte mich neben den Trompeter Meyn, hielt ihm die Lektüre hin und verlangte Unterrichtung im großen und kleinen ABC.
    Aber Herr Meyn war aus seiner Trompete heraus sogleich in den Schlaf gefallen. Es gab für ihn nur drei wahre Behältnisse: die Machandelflasche, die Trompete und den Schlaf. Zwar haben wir noch oftmals, genau gesagt, bis er in die Reiter-SA als Musiker eintrat und für einige Jahre den Machandel aufgab, Duette, ohne vorher zu üben, auf dem Dachboden den Kaminen, Dachpfannen, Tauben und Katzen vorgespielt, aber zum Lehrer wollte er nicht taugen.
    Ich versuchte es mit dem Gemüsehändler Greff. Ohne meine Trommel, denn Greff hörte nicht gerne das Blech, besuchte ich mehrmals den Kellerladen schräg gegenüber. Die Voraussetzungen für ein gründliches Studium schienen gegeben: lagen doch überall in der Zweizimmerwohnung, im Laden selbst, hinter und auf dem Ladentisch, sogar in dem verhältnismäßig trockenen Kartoffelkeller lagen Bücher, Abenteuerbücher, Liederbücher, der Cherubinische Wandersmann, des Walter Flex Schriften, Wiecherts einfaches Leben, Daphnis und Chloe, Künstlermonographien, Stapel Sportzeitschriften, auch Bildbände mit halbnackten Knaben, die aus unerfindlichen Gründen, zumeist zwischen Dünen am Strand, Bällen nachsprangen und geölt glänzende Muskeln dabei zeigten.
    Greff hatte schon zu jener Zeit viel Ärger im Geschäft. Prüfer vom Eichamt hatten beim Kontrollieren der Waage und Gewichte einiges zu bemängeln gehabt. Das Wörtchen Betrug fiel. Greff mußte eine Buße zahlen und neue Gewichte kaufen. Sorgenvoll wie er war, konnten ihn nur noch seine Bücher und die Heimabende und Wochenendwanderungen mit seinen Pfadfindern aufheitern.
    Kaum bemerkte er meinen Eintritt ins Geschäft, schrieb weiter Preisschildchen, und ich griff mir, die günstige Gelegenheit der Preisschildchenschreiberei nutzend, drei, vier weiße Pappen, dazu einen Rotstift und versuchte eifrig tuend, die schon beschrifteten Schildchen, Sütterlin imitierend, als Vorlage zu benutzen und dadurch Greffs Aufmerksamkeit zu erregen.
    Oskar war ihm wohl zu klein, nicht großäugig und bleich genug. So ließ ich also vom Rotstift, wählte mir einen Schmöker voller dem Greff ins Auge springender Nackedeis, tat auffallend mit dem Buch, hielt Fotos sich bückender oder dehnender Knaben, von denen ich annehmen konnte, daß sie dem Greff etwas bedeuteten, schräg und auch ihm zur Ansicht.
    Da der Gemüsehändler, wenn nicht gerade Kundschaft im Laden war und rote Rüben verlangte, allzu exakt an den Preisschildchen herumpinselte, mußte ich schon geräuschvoll mit den Buchdeckeln klappen oder die Seiten rasch und knisternd bewegen, damit er aus seinen Preisschildchen auftauchte und Anteil an mir, dem Leseunkundigen, nahm.
    Um es gleich zu sagen: Greff begriff mich nicht. Wenn Pfadfinder im Laden waren — und nachmittags waren immer zwei oder drei seiner Unterführer um ihn — bemerkte er Oskar überhaupt nicht. War Greff jedoch alleine, konnte er nervös streng und der Störungen wegen verärgert aufspringen und Befehle erteilen: »Laß das Buch liegen, Oskar! Kannst ja doch nichts damit anfangen.
    Biste viel zu dumm für und zu klein. Wirste noch kaputtmachen. Hat über sechs Gulden gekostet.
    Wenn du spielen willst, da sind Kartoffeln und Weißkohlköppe genug!«
    Dann nahm er mir den Schmöker weg, blätterte darin, ohne das Gesicht zu verziehen, und ließ mich zwischen Wirsingkohl, Rosenkohl, Rotkohl und Weißkohl, zwischen Wruken und Bulven stehen, vereinsamen; denn Oskar hatte seine Trommel nicht bei sich.
    Zwar gab es noch die Frau Greff, und ich schob mich auch zumeist nach der Abfuhr durch den Gemüsehändler ins Schlafzimmer des Ehepaares. Frau Lina Greff lag zu dem Zeitpunkt schon wochenlang zu Bett, tat kränklich, roch nach faulendem Nachthemd und nahm alles mögliche in die Hand, nur kein Buch, das mich unterrichtet hätte.
    Leichten Neid kauend, sah Oskar in der folgenden Zeit gleichaltrigen Knaben auf die Schultornister, an deren Seiten Schwämme und Läppchen der Schiefertafeln wippten und wichtig taten. Trotzdem kann er sich nicht erinnern, jemals Gedanken gehabt zu haben wie: du hast es dir selbst eingebrockt, Oskar. Hättest gute Miene zum Schulspiel machen sollen. Hättest es nicht mit der Spollenhauer auf alle Zeiten verderben sollen. Die Bengels überholen dich! Die haben entweder das große oder das kleine ABC intus,

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