Die Blechtrommel
Kammgarn hing, Cord knüllte Flanell, und über mir die Hutmode der letzten vier Jahre, zu meinen Füßen Schuhe, Schühchen, gewichste Stiefelgamaschen, Absätze, beschlagen und unbeschlagen, ein Lichtstreif von draußen hereinfallend, der alles andeutete; Oskar bedauerte, zwischen den Spiegeltüren einen Spalt offen gelassen zu haben.
Was konnten die im Wohnzimmer mir schon bieten? Vielleicht hatte Matzerath die beiden auf dem Sofa überrascht, was kaum möglich war, denn Jan bewahrte sich immer, nicht nur beim Skatspiel, einen Rest Vorsicht. Wahrscheinlich, und so war es dann auch, hatte Matzerath die getöteten, ausgenommenen, gewässerten, gekochten, gewürzten und abgeschmeckten Aale als Aalsuppe mit Salzkartoffeln in der großen Suppenterrine fertig zum Servieren auf den Wohnzimmertisch gestellt und hatte es gewagt, weil niemand Platz nehmen wollte, sein Gericht, alle Zutaten aufzählend, ein Rezept herunterbetend, anzupreisen. Mama schrie. Sie schrie kaschubisch. Das konnte Matzerath weder verstehen noch leiden und mußte es sich dennoch anhören, verstand wohl auch, was sie meinte; es konnte ja nur von den Aalen die Rede sein, und wie immer, wenn Mama schrie, von meinem Sturz von der Kellertreppe. Matzerath gab Antwort. Die kannten ja ihre Rollen. Jan machte Einwürfe. Ohne ihn gab es kein Theater. Schließlich der zweite Akt: der Klavierdeckel knallte, ohne Noten, auswendig, die Füße auf beiden Pedalen, nach-, vor-und ineinanderhallend der Jägerchor aus dem Freischütz: was gleicht wohl auf Erden. Und mitten hinein ins Halali der knallende Klavierdeckel, weg von den Pedalen, der umstürzende Klavierschemel, Mama im Kommen, schon im Schlafzimmer, noch ein Blick in die Spiegeltüren des Schrankes, und sie warf sich, ich sah es durch den Spalt, quer übers Ehebett unter dem blauen Betthimmel, weinte und rang ähnlich vielfingrig die Hände, wie esdie büßende, goldgerahmte Farbdruckmagdalena am Kopfende der Eheburg tat.
Längere Zeit hörte ich nur Mamas Wimmern, leichtes Bettknarren, gedämpftes Gemurmel aus dem Wohnzimmer. Jan beruhigte Matzerath. Matzerath bat Jan, Mama zu beruhigen. Das Gemurmel magerte ab, Jan betrat das Schlafzimmer. Dritter Akt: Er stand vor dem Bett, betrachtete abwechselnd Mama und die büßende Magdalena, setzte sich vorsichtig auf die Bettkante, streichelte der auf dem Bauch liegenden Mama Rücken und Gesäß, sprach beschwichtigend kaschubisch auf sie ein und fuhr ihr schließlich — weil Worte nicht mehr halfen — mit der Hand unter den Rock, bis sie aufhörte zu wimmern und Jan den Blick von der vielfingrigen Magdalena wegnehmen konnte. Man muß das gesehen haben, wie Jan nach getaner Arbeit aufstand, sich die Finger mit dem Taschentuch betupfte, dann Mama laut und nicht mehr kaschubisch, damit es Matzerath im Wohnzimmer oder in der Küche verstehen konnte, Wort für Wort betonend ansprach: »Nu komm Agnes, wir wolln das jetzt endlich vergessen. Alfred hat die Aale schon längst rausgebracht und ins Klo geschüttet. Wir dreschen jetzt einen anständigen Skat, von mir aus auch Viertelpfennigskat, und wenn wir dann alles hinter uns haben und wieder gut sind, macht Alfred uns Pilze mit Rührei und Bratkartoffeln.«
Mama sagte nichts darauf, drehte sich vom Bett, strich die gelbe Steppdecke wieder gerade, schüttelte sich ihre Frisur vor den Spiegeltüren des Schrankes zurecht und verließ hinter Jan das Schlafzimmer.
Ich nahm mein Auge von dem Sehschlitz und hörte bald darauf, wie sie die Karten mischten. Kleines vorsichtiges Gelächter, Matzerath hob ab, Jan verteilte, und da reizten sie ihre Karten aus. Ich glaube, Jan reizte Matzerath. Der paßte schon bei dreiundzwanzig. Woraufhin Mama Jan bis sechsunddreißig reizte, dann mußte auch er klein beigeben, und Mama spielte einen Grand, den sie knapp verlor. Den folgenden Karo einfach gewann Jan bombensicher, während Mama das dritte Spiel, einen Herzhand ohne Zwein knapp, aber dennoch nach Hause brachte.
Gewiß, daß dieser Familienskat, durch Rührei, Pilze und Bratkartoffeln kurz unterbrochen, bis in die Nacht hineinreichen würde, hörte ich den folgenden Spielen kaum noch zu, versuchte vielmehr, wieder zur Schwester Inge und ihren weißen, schlaffördernden Berufskleidern zurückzufinden. Es sollte mir aber der Aufenthalt in der Praxis des Dr. Hollatz getrübt bleiben. Nicht nur, daß grün, blau, gelb und schwarz immer wieder in den roten Text der Rotkreuzbrosche sprachen, auch die Ereignisse des Vormittags
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