Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
beherrschen, ließ im Sterbezimmer meiner Mama noch einmal das Idealbild ihrer grauäugigen Schönheit auf dem Blech zur Gestalt werden und wunderte mich, daß Matzerath es war, der den sofortigen Protest der Oberschwester dämpfte und »Lassen Sie ihn doch, Schwester, die hingen so aneinander« flüsternd, meine Partei ergriff.
    Mama konnte sehr lustig sein. Mama konnte sehr ängstlich sein. Mama konnte schnell vergessen.
    Mama hatte dennoch ein gutes Gedächtnis. Mama schüttete mich aus und saß dennoch mit mir in einem Bade. Mama ging mir manchmal verloren, aber ihr Finder ging mit ihr. Wenn ich Scheiben zersang, handelte Mama mit Kitt. Sie setzte sich manchmal ins Unrecht, obgleich es ringsherum Stühle genug gab. Auch wenn Mama sich zuknöpfte, blieb sie mir aufschlußreich. Mama fürchtete die Zugluft und machte dennoch ständig Wind. Sie lebte auf Spesen und zahlte ungerne Steuern. Ich war die Kehrseite ihres Deckblattes. Wenn Mama Herz Hand spielte, gewann sie immer. Als Mama starb, verblaßten die roten Flammen auf der Einfassung meiner Trommel etwas; der weiße Lack jedoch wurde weißer und so grell, daß selbst Oskar manchmal geblendet sein Auge schließen mußte.
    Nicht auf dem Friedhof Saspe, wie sie es sich manchmal gewünscht hatte, sondern auf dem kleinen ruhigen Friedhof Brenntau wurde meine arme Mama beerdigt. Dort lag auch ihr im Jahr siebzehn an der Grippe gestorbener Stiefvater, der Pulvermüller Gregor Koljaiczek. Die Trauergemeinde war, wie es sich beim Begräbnis einer beliebten Kolonialwarenhändlerin versteht, groß, zeigte nicht nur die Gesichter der Stammkundschaft, sondern auch Handelsvertreter verschiedener Firmen, selbst Leute von der Konkurrenz wie den Kolonialwarenhändler Weinreich und Frau Probst aus dem Lebensmittelgeschäft in der Hertastraße. Die Kapelle des Friedhofes Brenntau konnte die Menge nicht ganz fassen. Es roch nach Blumen und schwarzen, eingemotteten Kleidern. Im offenen Sarg zeigte meine arme Mama ein gelbes, mitgenommenes Gesicht. Ich konnte während der umständlichen Zeremonien das Gefühl nicht loswerden: gleich wird es ihr den Kopf hochreißen, sie wird sich noch einmal übergeben müssen, sie hat noch etwas im Leib, das herauswill: nicht nur den drei Monate alten Embryo, der gleich mir nicht weiß, welchem Vater er Dank schuldet, nicht nur er will hinaus und gleich Oskar nach einer Trommel verlangen, da gibt es noch Fisch, gewiß keine Ölsardinen, ich will nicht von Flundern reden, ein Stückchen Aal meine ich, einige weiß-grünliche Fasern Aalfleisch, Aal von der Seeschlacht im Skagerrak, Aal von der Hafenmole Neufahrwasser, Karfreitagsaal, Aal aus dem Haupte des Rosses entsprungen, womöglich Aal aus ihrem Vater Joseph Koljaiczek, der unters Floß geriet und den Aalen anheimfiel, Aal von deinem Aal, denn Aal wird zu Aal. . .
    Aber es kam kein Brechreiz auf. Sie behielt bei sich, nahm mit sich, hatte vor, den Aal unter die Erde zu bringen, damit endlich Ruhe Als Männer den Sargdeckel hoben und das gleichviel entschlossene wie angewiderte Gesicht meiner armen Mama zudecken wollten, fiel Anna Koljaiczek den Männern in die Arme, warf sich dann, die Blumen vor dem Sarg zertretend, über ihre Tochter und weinte, riß an der weißen, kostbaren Leichenausstattung und schrie laut auf kaschubisch.
    Viele sagten später, sie habe meinen mutmaßlichen Vater Matzerath verflucht und den Mörder ihrer Tochter genannt. Auch soll von meinem Sturz von der Kellertreppe die Rede gewesen sein. Sie übernahm die Fabel von Mama und erlaubte Matzerath nicht, seine angebliche Schuld an meinem angeblichen Unglück zu vergessen. Sie hat ihn immer wieder angeklagt, obgleich Matzerath sie, aller Politik zum Trotz, fast widerwillig verehrte und während der Kriegsjahre mit Zucker und Kunsthonig, mit Kaffee und Petroleum versorgte.
    Der Gemüsehändler Greff und Jan Bronski, der hoch und weibisch weinte, führten meine Großmutter vorn Sarg fort. Die Männer konnten den Deckel schließen und endlich jene Gesichter machen, die Leichenträger immer dann machen, wenn sie sich unter den Sarg stellen.
    Auf dem halb ländlichen Friedhof Brenntau mit seinen zwei Feldern beiderseits der Ulmenallee, mit seinem Kapellchen, das aussah wie eine Klebearbeit für Krippenspiele, mit seinem Ziehbrunnen, mit quicklebendiger Vogelwelt, auf der sauber geharkten Friedhofsallee, gleich hinter Matzerath die Prozession anführend, gefiel mir zum erstenmal die Form des Sarges. Ich habe später noch oft

Weitere Kostenlose Bücher