Die Blechtrommel
schob mit den Trommelstöcken die an der Stange aufgereihten Kleiderbügel mit den Mänteln und Winterkleidern zur Seite. Um die schweren Stoffe erreichen und bewegen zu können, mußte ich mich auf meine Trommel stellen. Schließlich war die in der Mitte des Schrankes entstandene Lücke zwar nicht groß, aber doch geräumig genug, um einen hineinsteigenden, sich niederhockenden Oskaraufnehmen zu können. Es gelang mir sogar, mit einiger Mühe die Spiegeltüren heranzuziehen und sie mit einem Shawl, den ich im Kastenboden fand, so mit der Anschlagleiste zu verklemmen, daß ein fingerbreiter Spalt notfalls Aussicht und einige Luftzufuhr ermöglichte. Die Trommel legte ich auf die Knie, trommelte aber nicht, auch nicht ganz leise, sondern ließ mich willenlos von den Ausdünstungen der Wintermäntel einfangen und durchdringen.
Wie gut, daß es den Schrank gab und schwere kaum atmende Stoffe, die mir erlaubten, fast alle Gedanken zusammenzunehmen, zu bündeln und an ein Wunschbild zu verschenken, das reich genug war, dieses Geschenk mit gemessener, kaum merklicher Freude anzunehmen.
Wie immer, wenn ich mich konzentrierte und meinem Vermögen gerecht lebte, versetzte ich mich in die Praxis des Dr. Hollatz im Brunshöferweg und genoß jenen Teil der allwöchentlichen Mittwochbesuche, auf den es mir ankam. So war es weniger der mich immer umständlicher untersuchende Arzt, um den ich die Gedanken kreisen ließ, als vielmehr die Schwester Inge, seine Assistentin. Sie durfte mich ausziehen und anziehen, sie alleine durfte mich messen, wiegen, testen; kurz, alle die Experimente, die Dr. Hollatz mit mir unternahm, führte Schwester Inge korrekt, doch auch etwas mürrisch aus und meldete jeweils und nicht ohne Spott Mißerfolge, die Hollatz Teilerfolge nannte. Selten sah ich Schwester Inge ins Gesicht. Am sauberen gestärkten Weiß ihrer Schwesterntracht, am schwerelosen Gebilde, das sie als Haube trug, an einer schlichten, mit rotem Kreuz verzierten Brosche ruhten sich mein Blick und mein von Zeit zu Zeit gehetztes Trommlerherz aus. Wie gut war es, den immer neuen Faltenwürfen ihrer Berufskleidung aufzupassen. Hatte sie einen Körper unter dem Stoff? Ihr immer älter werdendes Gesicht und die trotz aller Pflege grobknochigen Hände ließen ahnen, daß Schwester Inge dennoch eine Frau war. Gerüche allerdings, die eine ähnlich körperliche Beschaffenheit bewiesen hätten, wie sie meine Mama aufwies, wenn Jan oder auch Matzerath sie vor meinen Augen aufdeckten, diesen Dunst züchtete Schwester Inge nicht. Nach Seife roch sie und müdemachenden Medikamenten. Wie oft kam es vor, daß mich Schlaf überwältigte, während sie meinen kleinen und, wie man meinte, kranken Körper abhorchte: leichter, aus dem Faltenwurf weißer Stoffe geborener Schlaf, karbolverhüllter Schlaf, Schlaf ohne Traum; es sei denn, daß sich entfernt ihre Brosche vergrößerte zum, was weiß ich: Fahnenmeer, Alpenglühn, Klatschmohnfeld, bereit zur Revolte, gegen wen, was weiß ich: gegen Indianer, Kirschen, Nasenbluten, gegen die Kämme der Hähne, rote Blutkörperchen in Sammlung begriffen, bis ein die ganze Sicht bewohnendes Rot einer Leidenschaft Hintergrund bot, die mir damals wie heute zwar selbstverständlich, aber dennoch nicht zu benennen ist, weil mit dem Wörtchen rot nichts gesagt ist, und Nasenbluten tut's nicht und Fahnenstoff verfärbt sich, und wenn ich trotzdem nur rot sage, will rot mich nicht, läßt seinen Mantel wenden: schwarz, die Köchin kommt, schwarz, schreckt mich gelb, trügt mich blau, blau glaub ich nicht, lügt mir nicht, grünt mir nicht: grün ist der Sarg, in dem ich grase, grün deckt mich, grün bin ich mir weiß: das tauft mich schwarz, schwarz schreckt mich gelb, gelb trügt mich blau, blau glaub ich nicht grün, grün blüht mir rot, rot war die Brosche der Schwester Inge, ein rotes Kreuz trug sie, genau gesagt, am Waschkragen ihrer Krankenschwesterntracht; aber es blieb selten und so auch im Kleiderschrank nicht bei dieser einfarbigsten aller Vorstellungen.
Buntester Lärm schlug, aus dem Wohnzimmer drängend, gegen meine Schranktüren, weckte mich aus gerade beginnendem, der Schwester Inge gewidmetem Halbschlaf. Nüchtern und mit dicker Zunge saß ich, die Trommel auf den Knien haltend, zwischen verschieden gemusterten Wintermänteln, roch Matzeraths Parteiuniform, hatte Koppel, Schulterriemen mit Karabinerhaken ledern neben mir, fand nichts mehr von dem weißen Faltenwurf der Krankenschwesterntracht: Wolle fiel,
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