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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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denn nich?
    Is ja gleich, von wem es is. Oder isses noch immer wegen dem blöden Pferdekopf? Warn wir da bloß nich hingegangen! Nu vergiß das doch, Agnes. War ja nich Absicht von mir.«
    Der Krankenwagen kam, Mama wurde hinausgetragen. Kinder und Erwachsene sammelten sich auf der Straße, man fuhr sie fort, und es sollte sich herausstellen, daß Mama weder die Mole noch den Pferdekopf vergessen hatte, daß sie die Erinnerung an den Gaul — ob der nun Fritz oder Hans geheißen hatte — mit sich nahm. Ihre Organe erinnerten sich schmerzhaft überdeutlich an den Karfreitagsspaziergang und ließen, aus Angst vor einer Wiederholung des Spazierganges, meine Mama, die mit ihren Organen einer Meinung war, sterben.
    Dr. Hollatz sprach von Gelbsucht und Fischvergiftung. Im Krankenhaus stellte man fest, daß Mama sich im dritten Schwangerschaftsmonat befand, gab ihr ein Einzelzimmer, und sie zeigte uns, die wir sie besuchen durften, vier Tage lang ihr angeekeltes, im Ekel mich manchmal anlächelndes, von Krämpfen verwüstetes Gesicht.
    Wenn sie sich auch Mühe gab, ihren Besuchern kleine Freuden zu bereiten, wie auch ich mir heutzutage Mühe gebe, meinen Freunden an den Besuchstagen beglückt zu erscheinen, konnte sie dennoch nicht verhindern, daß ein periodisch auftretender Brechreiz ihren langsam nachgebenden Körper immer wieder umstülpte, obgleich dem nichts mehr entfallen wollte, als schließlich am vierten Tage jenes mühevollen Sterbens jenes bißchen Atem, das jeder endlich ausstoßen muß, um den Totenschein zu bekommen.
    Wir atmeten alle auf, als sich in meiner Mama keine Anlässe mehr für die ihre Schönheit so entstellenden Brechreize fanden. Sobald sie gewaschen im Leichenhemd lag, zeigte sie uns auch wieder ihr vertrautes rundes, schlau naives Gesicht. Die Oberschwester drückte Mama die Augen zu, weil Matzerath und Jan Bronski weinten und blind waren.
    Ich konnte nicht weinen, da all die anderen, die Männer und die Großmutter, Hedwig Bronski und der bald vierzehnjährige Stephan weinten. Auch überraschte mich der Tod meiner Mama kaum. War es Oskar, der sie am Donnerstag in die Altstadt und am Sonnabend in die Herz-Jesu-Kirche begleitete, nicht vorgekommen, als suche sie schon seit Jahren angestrengt nach einer Möglichkeit, das Dreieckverhältnis dergestalt aufzulösen, daß Matzerath, den sie womöglich haßte, die Schuld an ihrem Tod erbte, daß Jan Bronski, ihr Jan, seinen Dienst bei der polnischen Post mit Gedanken fortsetzen konnte, wie: Sie ist für mich gestorben, sie wollte mir nicht im Wege stehn, sie hat sich geopfert.
    Bei aller Berechnung, der beide, Mama und Jan, fähig waren, wenn es galt, ihrer Liebe ein ungestörtes Bett zu beschaffen, zeigten sie gleichviel Begabung zur Romanze: man kann, wenn man will, in ihnen Romeo und Julia oder jene zwei Königskinder sehen, die angeblich nicht zusammenkamen, weil das Wasser zu tief war.
    Während Mama, die die Sterbesakramente rechtzeitig mitbekommen hatte, kalt und durch nichts mehr zu bewegen unter den Gebeten des Priesters lag, fand ich Zeit und Muße, die Krankenschwestern, die zumeist protestantischer Konfession waren, zu beobachten. Sie falteten die Hände anders als die Katholiken, ich möchte sagen, selbstbewußter, sprachen das Vaterunser mit vom katholischen Originaltext abweichenden Worten und bekreuzigten sich nicht, wie es etwa die Großmutter Koljaiczek, die Bronskis und auch ich taten. Mein Vater Matzerath — ich nenne ihn gelegentlich so, auch wenn er mich nur mutmaßlich zeugte — er, der Protestant, unterschied sich beim Gebet von den anderen Protestanten, weil er die Hände nicht vor der Brust verankerte, sondern die Finger verkrampft unten, etwa in Höhe der Geschlechtsteile von einer Religion in die andere wechseln ließ und sich offensichtlich seiner Beterei schämte. Meine Großmutter kniete neben ihrem Bruder Vinzent vor dem Totenbett, betete laut und hemmungslos auf kaschubisch, während Vinzent nur die Lippen, wahrscheinlich auf polnisch bewegte, dafür die Augen aber voller geistigem Geschehen weitete. Ich hätte gerne getrommelt. Schließlich verdankte ich meiner armen Mama die vielen weißroten Bleche.
    Sie hatte mir, als Gegengewicht zu Matzeraths Wünschen, das mütterliche Versprechen einer Blechtrommel in die Wiege gelegt, auch hatte mir Mamas Schönheit dann und wann, besonders als sie noch schlanker war und nicht turnen mußte, als Trommelvorlage dienen können. Schließlich konnte ich mich nicht mehr

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