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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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drängten sich dazwischen: immer wenn sich die Tür zum Sprechzimmer und zur Schwester Inge öffnete, bot sich nicht der reine und leichte Anblick der Krankenpflegerinnentracht, sondern es zog der Stauer auf der Hafenmole von Neufahrwasser unter dem Seezeichen Aale aus triefend wimmelndem Pferdekopf, und was sich als Weiß ausgab, was ich der Schwester Inge zuordnen wollte, das waren Möwenflügel, die für den Augenblick täuschend das Aas und die Aale im Aas verdeckten, bis wieder die Wunde aufbrach, doch nicht blutete und Rot spendete, sondern schwarz war der Rappe, flaschengrün die See, ein bißchen Rost brachte der Finne, der Holz geladen hatte, ins Bild und die Möwen — man soll mir nicht mehr von Tauben sprechen — die bewölkten das Opfer und tauchten die Flügelspitzen ein und warfen den Aal meiner Schwester Inge zu, die fing ihn auch, feierte ihn und wurde zur Möwe, nahm Gestalt an, nicht Taube, wenn schon Heiliger Geist, dann in jener Gestalt, die da Möwe heißt, sich als Wolke aufs Fleisch senkt und Pfingsten feiert.
    Die Mühe aufgebend, gab ich damals den Schrank auf, stieß die Spiegeltüren unwillig auseinander, stieg aus dem Kasten, fand mich unverändert vor den Spiegeln, war aber immerhin froh, daß Frau Kater keine Teppiche mehr klopfte. Zwar war der Karfreitag für Oskar zu Ende, aber die Passionszeit sollte erst nach Ostern beginnen.
    DIE VERJÜNGUNG ZUM FUSSENDE
    Doch auch für Mama sollte erst nach diesem Karfreitag des aalwimmelnden Pferdekopfes, nach dem Osterfest erst, das wir mit den Bronskis im ländlichen Bissau bei der Großmutter und dem Onkel Vinzent verbrachten, eine Leidenszeit beginnen, die selbst durch gutgelauntes Maiwetter nicht zu beeinflussen war.
    Es stimmt nicht, daß Matzerath Mama zwang, wieder Fisch zu essen. Aus freien Stücken und von rätselhaftem Willen besessen, begann sie knapp zwei Wochen nach Ostern, Fisch in solchen Mengen und ohne Rücksicht auf ihre Figur zu verschlingen, daß Matzerath sagte: »Nu iß nicht soviel von dem Fisch, als wenn man dich zwingen würd'.«
    Aber sie begann mit Ölsardinen zum Frühstück, fiel zwei Stunden später, wenn nicht gerade Kundschaft im Geschäft war, über das Sperrholzkistchen mit den Bohnsacker Sprotten her, verlangte zum Mittagessen gebratene Flundern oder Pomuchel in Senfsoße, hatte am Nachmittag schon wieder den Büchsenöffner in der Hand: Aal in Gelee, Rollmöpse, Bratheringe, und wenn Matzerath sich weigerte, zum Abendbrot wieder Fisch zu braten oder zu kochen, dann verlor sie kein Wort, schimpfte nicht, stand ruhig vom Tisch auf und kam mit einem Stück geräuchertem Aal aus dem Laden zurück, daß uns der Appetit verging, weil sie mit dem Messer der Aalhaut innen und außen das letzte Fett abschabte und überhaupt nur noch Fisch mit dem Messer aß. Tagsüber mußte sie sich mehrmals übergeben. Matzerath war hilflos besorgt, fragte: »Biste v'leicht schwanger oder was is?«
    »Quatsch nich son Zeug«, sagte dann Mama, wenn sie überhaupt etwas sagte, und als die Großmutter Koljaiczek eines Sonntags, als Aal Grün mit frischen Kartoffeln in Maibutter schwimmend auf den Mittagstisch kamen, mit flacher Hand zwischen die Teller schlug, »Nu, Agnes«, sagte, »nu sag mal, was is? Was ißte Fisch, wenn dir nich bekommt und sagst nich warum und tust wie Deikert!« schüttelte Mama nur den Kopf, schob die Kartoffeln zur Seite, führte den Aal durch die Maibutter und aß unentwegt, als hätte sie eine Fleißaufgabe zu erfüllen. Jan Bronski sagte nichts. Als ich die beiden einmal auf der Chaiselongue überraschte, hielten sie sich zwar wie sonst an den Händen und hatten verrutschte Kleider, doch fielen mir Jans verweinte Augen und Mamas Apathie auf, die jedoch plötzlich ins Gegenteil umschlug. Sie sprang auf, griff, hob, drückte mich, zeigte mir einen Abgrund, der wohl durch nichts, auch durch Unmengen gebratener, gesottener, eingelegter und geräucherter Fische nicht auszufüllen war.
    Wenige Tage später sah ich, wie sie in der Küche nicht nur über die gewohnten, verdammten Ölsardinen herfiel, sie goß auch das Öl aus mehreren älteren Dosen, die sie aufbewahrt hatte, in eine kleine Soßenpfanne, erhitzte die Brühe über der Gasflamme und trank davon, während mir, der ich in der Küchentür stand, die Hände von der Trommel fielen.
    Noch am selben Abend mußte Mama in die städtischen Krankenanstalten eingeliefert werden.
    Matzerath weinte und jammerte, bevor der Krankenwagen kam: »Warum willste das Kind

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