Die blutende Statue
tun?« Eleazar Bragas Antwort fiel genau so aus, wie Antonia es erwartet hatte, und erfüllte sie mit wilder Freude. »Ich erstatte natürlich Anzeige!«
Am 31. März 1963 wurde Leonora da Silva vor das Strafgericht von Rio de Janeiro zitiert und musste sich der ziemlich originellen Anklage stellen, das Paradies in Eigenheime aufgeteilt und allzu leichtgläubigen Kunden stückchenweise verkauft zu haben.
Eleazar Braga, Maria Bragas Mann, hatte in ihrem Namen Anzeige erstattet und saß auf der Klägerbank. Wie man sich denken kann, war der Saal voll besetzt. Bei dieser Aufsehen erregenden Verhandlung kämpften Neugierige und Journalisten um die Plätze. Wie alle großen Stars, die um ihren Ruf besorgt sind, ließ Leonora da Silva auf sich warten. Endlich erschien sie.
Ein entzücktes Raunen lief durch den Saal. An ihrem Auftreten erkannten alle sofort, dass sie fest entschlossen war, sich zu verteidigen, und die Partie längst nicht verloren gegeben hatte. Sie hielt sich kerzengerade, zur vollen Größe aufgerichtet, geradezu erhaben in ihrem schwarzen Kleid. Herausfordernd blickte sie abwechselnd die Richter und den Ankläger an.
Der Vorsitzende ergriff das Wort.
»Leonora da Silva, Sie werden beschuldigt, fünf verschiedenen Personen für jeweils zwei bis fünf Millionen Escudos >Häuser im Paradies< mit zwei bis fünf
Zimmern verkauft zu haben. Was haben Sie dazu zu sagen?«
Leonora sprach mit laut vernehmbarer Stimme. »Nichts. Da gibt es nichts zu sagen, weil alles stimmt.«
»Dann geben Sie also zu, die Gutgläubigkeit dieser Leute ausgenutzt zu haben?«
Leonora da Silva zuckte nur mit den Schultern und schüttelte ihre schwarze Mähne.
»Ganz und gar nicht. Diese Häuser habe ich wirklich verkauft.«
»Aber sie existieren nicht.«
»Doch. Der Geist hat sie mir beschrieben. Deswegen konnte ich sie jedem Kunden genau schildern.« Langsam wurde der Vorsitzende wütend.
»Machen Sie sich über das Gericht lustig?«
Leonora ließ sich nicht erschüttern.
»Sie scheinen das Paradies ja gut zu kennen, Herr Richter. Waren Sie schon einmal dort?«
Im Saal erklang Gelächter.
»Und Sie sind von dort zurückgekehrt?«
Der Vorsitzende musste sich fast die Kehle aus dem Hals schreien, um wieder Ruhe herzustellen. Dann versuchte er, Oberwasser zu bekommen.
»Etwas Unbekanntes, was nicht existiert, kann man doch nicht verkaufen.«
Da lächelte Leonora da Silva.
»Natürlich kann man das. Sonst müsste man auch die Kirche verurteilen, weil sie Spenden für das Seelenheil der Verstorbenen annimmt.«
Diesmal kam der Vorsitzende ins Schwimmen.
»Das ist doch nicht dasselbe.«
»Warum?«
»Weil das etwas anderes ist. Außerdem ist erwiesen, dass Sie sich von dem Geld Schmuck und eine Luxusvilla gekauft haben.«
Durch solche Details ließ sich Leonora nicht erschüttern.
»Na und? Die Güter dieser Welt können nun mal nur dem Vermittler zwischen Himmel und Erde zukommen. Was macht ein Priester mit dem Geld für die Messen? Er kauft sich etwas zu essen, Benzin für sein Auto oder ein Paar neue Schuhe. Im Prinzip ist das dasselbe.«
Da die Logik dieser Argumentation nicht zu erschüttern war, gab der Vorsitzende nach. Er unternahm nur noch einen letzten Versuch.
»Was ist mit diesen Schlüsseln aus blauem Schaumstoff? Wollen Sie mir etwa sagen, dass die ernst gemeint waren? Dass sie die Türen dieser >Häuser< öffnen?«
Mit herablassendem Lächeln versetzte ihm Leonora da Silva den Gnadenstoß.
»Ein Symbol, Herr Richter, nur ein Symbol. Sobald man sich auf das Gebiet von Mystik und Religion begibt, wird alles symbolisch.«
Damit war das Verhör abgeschlossen. Nach kurzer Beratung wurde Leonora da Silva von der Anklage des Betrugs freigesprochen, da erwiesen war, dass sie ihre Kunden nicht getäuscht hatte, auch wenn der Gegenstand der Transaktionen sehr speziell war. Unter Hochrufen zog sich die Wahrsagerin zurück, während Frau Braga und alle anderen »Paradieseigentümer«, die weiter daran glaubten, auf sie zustürzten, um ihr zu gratulieren.
Anschließend hielt es Leonora da Silva für richtig, nicht mehr von sich reden zu machen. Aber was konnte man ihr im Grunde vorwerfen? Ihre Kunden hatten sich ihr kleines Häuschen zwischen den Wolken ausgemalt, es fast leibhaftig vor sich gesehen. Seitdem lebten sie in Gedanken dort. Diese strahlende Behausung hatten sie ständig vor Augen, sie erleuchtete ihr Leben. Natürlich war sie etwas teuer, aber schließlich waren sie reich genug. Außerdem
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