Die blutende Statue
sich eine Zigarette an, holte sich aus der kleinen Wandbar ein Glas Whisky und kehrte zu den Geldscheinen zurück, die sie auf den Frisiertisch gelegt hatte. Mit dem rechten Zeigefinger zählte sie jedes Bündel genau durch. Plötzlich wurde an die Tür geklopft. Mitten in der Abrechnung gestört, fragte Leonora zornig: »Wer ist da?«
»Antonia, gnädige Frau. Ich muss Sie sprechen.« Antonia Carvallo war das Dienstmädchen von Leonora da Silva. Was wollte die denn? Was fiel der ein, ihre Herrin einfach im Schlafzimmer zu stören? Leonora rief heftig: »Ich bin beschäftigt! Lass mich in Ruhe!« Doch die Stimme hinter der Tür ließ nicht locker: »Es ist dringend und wichtig, gnädige Frau. Ich muss mit Ihnen sprechen... über das Paradies.«
Überrascht ließ Leonora die Geldscheine in einer Schublade des Frisiertischs verschwinden und machte auf. Antonia Carvallo war eine unscheinbare Brünette um die fünfundzwanzig, die jetzt aber eine dreiste Miene aufsetzte. Sie trat ein und setzte sich frech auf Leonoras Bett.
»Ich muss Ihnen ein Geständnis machen, gnädige Frau. Manchmal horche ich an den Türen. Das habe ich vorhin auch getan und alles mit angehört.«
Leonora da Silva musterte ihr Hausmädchen und blies den Zigarettenqualm in ihre Richtung.
»Gut. Du horchst also an den Türen. Dann bist du entlassen und die Angelegenheit ist erledigt. Ich komme nach unten und zahle dich aus, sobald ich hier fertig bin.«
Antonia starrte sie wütend an.
»Das wäre ein Fehler, gnädige Frau. Anscheinend haben Sie nicht verstanden. Wie wär’s, wenn ich alles der Polizei erzähle? Ansonsten will ich 300 000 Escudos. Nur ein Zehntel von dem, was Ihnen die Irre vorhin gegeben hat.«
Als einzige Antwort verabreichte ihr Leonora da Silva eine schallende Ohrfeige. Antonia stieß einen Schrei aus und floh. Sie rannte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und in den Garten hinaus. Dort baute sie sich unter Leonoras Schlafzimmerfenster auf und rief herausfordernd nach oben: »Das können Sie nicht ins Paradies mitnehmen, Frau da Silva!«
Inspektor Enrique Jabor hatte große Mühe, die wild gestikulierende, offenbar stark erregte Frau zu verstehen. »Also, Sie behaupten, dass Leonora da Silva eine Betrügerin ist. Wer ist überhaupt Leonora da Silva?«
»Meine ehemalige Chefin. Sie wohnt in einer Villa ganz in der Nähe. Dort sollten Sie einmal vorbeischauen.«
Inspektor Enrique Jabor verzog das Gesicht und musterte Antonia.
»Und können Sie diese Geschichte vom Paradies noch einmal wiederholen? Das hab ich nicht ganz verstanden.«
»Sie verkauft das Paradies. Ist das etwa kein Betrug?« Offenbar zweifelte der Inspektor zunehmend an der seelischen, ja geistigen Verfassung der Besucherin.
»Sie wollen also Anzeige erstatten.«
»Ja genau. Ich erstatte Anzeige.«
»Na gut. Was hat Frau da Silva Ihnen angetan?«
»Mir nichts, aber...«
Da stand Inspektor Jabor auf und packte die junge Frau grob am Arm.
»Wenn man Ihnen nichts angetan hat, können Sie auch keine Anzeige erstatten. Auf Wiedersehen.« Wutschäumend stapfte Antonia davon und rief dabei: »Ich komme wieder!«
Als Inspektor Enrique Jabor diese Verrückte entschwinden sah, war er vom Gegenteil überzeugt. Dennoch irrte er sich. Trotz ihrer Wut dachte Antonia Carvallo ganz logisch nach. Wenn sie nicht Anzeige erstatten durfte, musste sie jemanden finden, der das an ihrer Stelle erledigen konnte, das heißt ein Opfer. Und sie kannte eins.
Eleazar Braga, der Direktor der Banca do Rio, war es nicht gewöhnt, im Büro gestört zu werden. Dennoch empfing er sofort die Unbekannte, die seiner Sekretärin erzählt hatte, sie habe schlimme Neuigkeiten bezüglich seiner Frau.
Antonia Carvallo kam ohne Umschweife zur Sache. »Ich war das Dienstmädchen von Leonora da Silva.« Bei diesem Namen zog Eleazar Bragas plötzlich ein besorgtes Gesicht.
»Die Wahrsagerin? Was will die nun schon wieder von meiner Frau?«
»Sie hat ihr den Kopf verdreht, wie allen anderen. Als ich das gemerkt habe, habe ich versucht, es zu verhindern, aber es war schon zu spät. Kurz gesagt: Leonora da Silva hat ihrer Frau für drei Millionen Escudos ein Haus mit drei Zimmern im Paradies verkauft.«
Der Bankier, der wie alle Kollegen mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand, vor allem wenn es sich ums Geld drehte, bekam fast einen Schlaganfall. Erst nach einer Weile konnte er wieder klar denken.
»Und womit hat sie bezahlt?«
»Sie hat ihren Schmuck verkauft. Was wollen Sie
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