Die blutende Statue
schwieriger geworden.
Ein Heim im Paradies
Schwer beeindruckt legte Maria Braga ein Päckchen vor sich auf den Tisch. Sie war eine kleine, rundliche Frau um die sechzig und trug ein dunkles Kleid, auf dem ein goldenes, diamantenbesetztes Kreuz funkelte. Maria Braga war beeindruckt, weil die Einrichtung ringsum geradezu überwältigend war. Es handelte sich um ein rundes, fensterloses Zimmerchen mit himmelblau gestrichenen Wänden und einer Decke in derselben Farbe. Die indirekte, sanfte Beleuchtung schuf eine Stimmung wie in einem Traum. Der weiße Teppichboden schien aus Watte zu bestehen, so dick war er. Eine weiße Decke mit goldenen Sternchen bedeckte das runde Tischchen in der Mitte. Von irgendwo her erklang leise, einschmeichelnde Violinen- und Harfenmusik.
Am eindrucksvollsten war jedoch die Frau, die Maria gegenübersaß. Sie trug ein Kleid aus mehreren blauen, übereinander drapierten Schleiern, das indisch oder antik anmutete. Sie war um die dreißig und hatte ein unvergessliches Gesicht: eine undefinierbare, ins Grau spielende Augenfarbe, energische, zugleich aber harmonische Gesichtszüge, einen sinnlichen Mund und langes, schwarzes, bis auf die Schultern fallendes Haar.
Wegen der eigentümlichen Form des Zimmers hallte Maria Bragas Stimme seltsam, als sie das Wort ergriff.
»Es ist wunderschön, Frau da Silva. Das hatte ich gar nicht erwartet.«
Die mit Schleiern behangene Frau antwortete lächelnd: »Nennen Sie mich Leonora.«
Frau Bragas Erregung wuchs.
»Wirklich? Darf ich?«
Leonora da Silva lächelte noch stärker.
»So wie alle Eigentümer. Und genauso wie alle Eigentümer dürfen Sie von nun an jederzeit herkommen.« Aufgeregt beugte sich Maria Braga zu ihrer Gastgeberin vor: »Hat der Geist zu Ihnen gesprochen?«
»Ja. Genau hier, gestern Abend. Er hat mir Ihr Haus beschrieben. Es ist ein Traum, ein Palast!«
Marias Augen leuchteten auf: »Hat es mehr als drei Zimmer?«
»Nein, drei Zimmer, allerdings riesige, Maria. Jedes einzelne ist so groß wie eine Kathedrale. Und dann die Aussicht!«
Maria Braga wurde immer erregter: »Also ist es gut gelegen?«
Leonora da Silva erhob sich und ließ dabei ihre Schleier flattern.
»Es liegt ideal! An dem Ort, nach dem die meiste Nachfrage besteht. Der Geist selbst konnte es kaum glauben. Meine Liebe, Sie bekommen eines der schönsten Häuser im Paradies.«
Sie fuhr mit der Hand in ihr Dekolleté, zog einen Schlüssel aus blauem Schaumstoff heraus und reichte ihn Maria anmutig.
»Ihr Schlüssel.«
Maria war sprachlos. Der Schlüssel, die Umgebung, die Musik: Sie war hingerissen vor Glückseligkeit und rief: »Da bekommt man ja fast Lust zu sterben.«
Leonora da Silva trat an den Tisch mit dem sternen-übersäten Teppich.
»Überstürzen Sie nichts, liebste Maria. Da Sie jetzt wissen, was Ihre Seele dort drüben erwartet, können Sie auf Erden nur glücklich sein.«
Maria Braga wies auf das Paket, das vor ihr lag.
»Hier sind die drei Millionen Escudos. Eine Million pro Zimmer. Möchten Sie nachzählen?«
Mit dem Arm beschrieb Leonora da Silva eine weite Geste, die ihre Schleier anhob.
»Der Geist muss nichts nachzählen. Der Geist weiß alles. Noch eines: Sprechen Sie mit niemandem darüber. Sonst wird der Geist wütend und Ihr schönes Haus verschwindet.«
Mit beiden Händen deutete Sie eine rasche Bewegung an.
Einfach so, in Luft aufgelöst!
Bei dieser schrecklichen Vorstellung zog Maria ein erschrockenes Gesicht.
»Natürlich habe ich gut aufgepasst. Mein Mann weiß von nichts. Ich habe meinen Schmuck verkauft.«
Sie blickte auf ihr Kleid hinunter.
»Außer dem Kreuz natürlich. Ich dachte, wenn man ins Paradies kommen will...«
Leonora da Silva führte ihre Besucherin zu einer Tür, die sich kaum von der übrigen Wand abhob.
»Das war ganz richtig, meine Liebe.«
Sie ließ das Bündel Geldscheine unter ihren Schleiern verschwinden.
»Freuen Sie sich, von nun an gehören Sie zu den Besitzern des Paradieses.«
So verkaufte Leonora da Silva, eine der bekanntesten Wahrsagerinnen von Rio de Janeiro, am 16. Januar 1963 für drei Millionen Escudos — etwa 300 000 Euro — eine Drei-Zimmer-Wohnung im Paradies!
Nachdem Leonora ihre Kundin bis an die Tür ihrer luxuriösen Villa in einem Vorort von Rio begleitet hatte, ging sie ins Obergeschoss hinauf und schloss sich in ihrem Schlafzimmer ein. Mit sichtlicher Erleichterung warf sie die blauen Schleier ab, um sich eine Jeans und ein T-Shirt überzuziehen. Sie zündete
Weitere Kostenlose Bücher