Die Bluterbin (German Edition)
von Coucy zu entfliehen“, beruhigte ihn Gilles.
Er blickte kurz zu dem Medicus hinüber, der sich einen Becher Wein nach dem anderen einschenken ließ.
„Worauf wartest du noch?“, wandte er sich schließlich ungeduldig an diesen. „Geh zu unserem Herrn und berichte ihm, was geschehen ist.“
Worauf sich der Medicus widerwillig erhob.
„Ich werde dich begleiten“, sagte Robert fest.
Gemeinsam betraten sie den Wohnturm, wo ihnen sofort vier Wachen den Weg versperrten.
„Wir müssen sofort den Herrn sprechen, es ist wichtig“, begehrte Robert auf. Seine Stimme vibrierte vor unterdrückter Erregung.
„Ich würde euch raten, etwas leiser zu sein, der Herr schläft noch und kann es nicht leiden, von Gesindel wie euch geweckt zu werden.“
Der Medicus beugte sich zu dem Wachmann.
„Du hast doch gehört, dass mein Freund hier gesagt hat, dass es wichtig ist. Sag seinem Kammerdiener Bescheid, damit er ihn weckt, oder ich werde das nächste Mal nicht so zimperlich mit dir umgehen, wenn dein Darm dich wieder einmal quält, weil du dich überfressen hast.“
„Ist ja schon gut.“ Der Wachmann setzte sich in Bewegung. Es dauerte eine Weile, bis er zurückkam.
„Ihr könnt jetzt durch“, erklärte er ihnen. „Aber gebt mir nicht die Schuld an seiner schlechten Laune.“
Ein Diener führte sie ins Schlafgemach des Herrn von Coucy.
Kostbare Teppiche bedeckten den Boden und die Wände und verschluckten jeden ihrer Schritte. Die seidigen Vorhänge zwischen den kunstvoll geschnitzten Pfosten des Bettes waren bis auf einen einzigen zugezogen.
Als sie näher traten, stellten sie fest, dass Enguerrand nicht allein war. Ein junges Mädchen lag neben ihm in den Kissen, nackt, wie Gott sie geschaffen hatte.
„Verschwinde“, knurrte Enguerrand sie grob an, ohne sie auch nur noch eines einzigen Blickes zu würdigen. Das Mädchen erhob sich gehorsam und zog sich ein Leinenhemd über. Mit ihrem Gewand über dem Arm verließ sie das Zimmer, wobei sie Robert im Hinausgehen ein scheues Lächeln zuwarf.
„Ich kann nur für uns alle hoffen, dass eure Botschaft tatsächlich wichtig ist“, flüsterte der Kammerdiener dem Medicus zu.
Enguerrand hatte sich währenddessen aufgesetzt. Er trug ein Untergewand aus feinstem Linnen. Seine dunklen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht und verliehen ihm noch einen wilderen Ausdruck als sonst.
Finster starrte er Robert und dem Medicus entgegen.
„Was gibt es denn so Dringendes, dass Ihr es wagt, meinen Schlaf zu stören?“
Entschlossen trat Robert vor.
„Ich habe gehört, dass der Spion des Bischofs von Bourges gestern auf der Burg aufgetaucht ist. Kurz danach ist ein Feuer in den Schweineställen ausgebrochen, und Marie ist während der Löscharbeiten spurlos verschwunden. Ich bin mir sicher, dass Otto dahintersteckt. Schon in Bourges hat er die Drecksarbeit für den Bischof erledigt, und er ist nicht zimperlich in der Wahl der Mittel, wenn er ein Ziel vor Augen hat.“
Enguerrands Gesicht wurde rot vor Wut.
„Ich hätte diesen schmierigen Kerl gleich gestern ersaufen sollen“, brüllte er unbeherrscht.
„Niemand stiehlt mir etwas ungestraft. Ruft augenblicklich die Männer zusammen. Wir brechen sofort auf.“
„Bitte gebt mir die Erlaubnis, Euch zu begleiten. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, dass ich nicht fliehen werde“, bat Robert Enguerrand inständig.
Enguerrand beachtete ihn nicht weiter.
„Bringt mir sofort meinen Waffenrock“, schrie er den Dienern zu, die mit ängstlichen Gesichtern an der Türe standen und das Gespräch aufmerksam verfolgt hatten.
„Bitte, Herr.“ Robert trat einen weiteren Schritt vor.
„Meinetwegen“, knurrte Enguerrand, während er die Beinlinge überzog, die sein Leibdiener ihm gereicht hatte.
„Aber jetzt verschwindet endlich.“
Robert war Enguerrand dankbar. Immerhin hatte dieser entgegen seiner sonstigen Art ihm gegenüber gerade einen menschlichen Zug gezeigt. Leise Hoffnung stieg in ihm auf. Vielleicht würde er ihn eines Tages ja auch noch dazu überreden können, Marie und ihn gehen zu lassen.
Doch das musste vorläufig noch warten. Zunächst galt es einmal, Marie aus den Händen von Radulfus’ hinterhältigem Schergen zu befreien.
Robert lief zu den Ställen, wo sich bereits die ersten Ritter versammelt hatten und lautstark durcheinanderbrüllten. Niemand wollte sich die Jagd entgehen lassen.
Und so stürmten nur wenig später knapp an die vierzig Ritter, bis an die Zähne bewaffnet und gefolgt von ihren
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