Die Bluterbin (German Edition)
Laon, und bis in die Stadt war es noch eine halbe Tagesreise. Nachdem Robert zudem nicht wusste, wie schwer Bernard verletzt war, wollte er keinesfalls das Risiko eingehen, ihn allzu weit zu transportieren.
„Worauf wartest du, reite los und hole Hilfe“, herrschte er den Knappen an, der ängstlich auf seinen Herrn hinunterstarrte.
Jack war ein junger, hochgeschossener und dünner Bursche, auf dessen Kinn sich die ersten Bartstoppeln zeigten. Er bewunderte Bernard aus vollem Herzen und wünschte sich nichts sehnlicher, als diesem einmal ähnlich zu werden.
„Glaubt Ihr, dass er wieder gesund wird?“, fragte er mit zitternden Lippen. „Wenn du noch länger wartest, ganz sicher nicht“, gab Robert ungeduldig zur Antwort. Er war in großer Sorge um seinen Freund, der völlig reglos und mit bleichem Gesicht vor ihm lag. Da erwachte Jack endlich aus seiner Erstarrung, sprang auf sein Pferd und jagte davon, als ob der Teufel selbst hinter ihm her wäre.
Robert band unterdessen die Pferde fest und holte an einem nahe gelegenen Bach Wasser, um Bernard damit die Stirn zu kühlen.
Die Dämmerung brach bereits herein, als der Knappe, begleitet von zwei Mönchen auf einem Eselskarren, wieder zurückkehrte.
Jack wies mit dem Finger auf die beiden Mönche.
„Das hier sind Bruder Roger und Bruder Paul, sie haben sich bereit erklärt, uns zu helfen. Nicht weit von hier befindet sich die Abtei Saint-Nicolas“, erklärte er und war stolz, dass es ihm so rasch gelungen war, Hilfe zu holen. Bernard war immer noch bewusstlos, und Robert fühlte sich vollkommen hilflos. Vorsichtig betteten sie Bernard zu viert auf den Karren, der sich sogleich rumpelnd in Bewegung setzte.
Noch vor Einbruch der Nacht hatten sie die Abtei, die abseits aller größeren Wege lag, erreicht. Die Befestigungsanlagen, die sich rund um die Gebäude herum zogen, erinnerten dabei mehr an eine Burg als an ein Kloster, das im Zwielicht der Dämmerung nochmals düsterer und abweisender als sonst wirkte.
Der zum Haupttor führende Pfad war mit Kieseln aus einem der umliegenden Bäche bestreut, die unter den Hufen der Pferde knirschten.
Sobald sie das Haupttor durchquert hatten, beschlich Robert ein seltsames Gefühl, das er sich nicht zu erklären vermochte. Doch er konnte förmlich spüren, dass die Abtei von einem Geheimnis umgeben war, und obwohl er diesen Gedanken rasch wieder beiseiteschob, konnte er nicht verhindern, dass ein beklemmendes Gefühl in ihm zurückblieb. Das Vordringlichste war zunächst jedoch, dass Bernard wieder gesund wurde. Er betrachtete den Freund, der wie tot auf dem Karren lag, und seine Angst um ihn wuchs.
Ein großer dunkler Schatten flog dicht über ihnen hinweg, und gleichzeitig begann eine Glocke zu läuten, deren Ton Robert ehrfürchtige Schauer über den Rücken laufen ließ. Sein Unbehagen verstärkte sich.
Einige Mönche huschten an ihnen vorbei, da die Glocke die Vesper eingeläutet hatte. Sie warfen neugierige Blicke auf die Neuankömmlinge, ohne sie aber weiter zu beachten.
Schließlich trat ein korpulenter kleiner Mann schnaufend und mit hochrotem Gesicht auf sie zu.
„Das ist Bruder Johannes, unser Gästemeister“, stellte ihn Bruder Roger vor und wandte sich dann an den Besagten: „Wir haben einen Verletzten, den wir so schnell wie möglich in die Krankenstube bringen sollten.“
„Der Abt ist in der Kirche“, erwiderte daraufhin Bruder Johannes. „Kümmert ihr Euch um den Verletzten, während ich die Pferde versorge.“
Robert und Jack folgten dem Wagen über das weitläufige Klostergelände, dessen Gebäude ein Rechteck formten, in dessen Mittelpunkt eine kreuzförmige Kapelle stand. An diese schlossen wiederum zahlreiche Nebengebäude an, wie die Schreibstube mit der Bibliothek, die Sakristei mit dem Aufbewahrungsort für die priesterlichen Gewänder und das Gasthaus für durchreisende Mönche. Dahinter befand sich schließlich das Gasthaus für arme Reisende und Pilger mit einer eigenen Küche und Brauerei, weiterhin Backstube, Mühle, Küferei, Tenne und schließlich die Ställe für die Reitpferde.
Die Krankenstube stand vom Gasthaus getrennt, nicht weit entfernt von Latrinen, Senkgruben und den Stallungen für das Vieh.
Das Stöhnen und Keuchen der Kranken schlug ihnen bereits entgegen, bevor sie das niedrige Ziegelgebäude betraten, in dem sich Bett an Bett reihte. Vorsichtig legten sie Bernard auf eines der wenigen freien, nur mit dünnen Strohmatratzen bedeckten Lager. Es roch nach
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