Die Bluterbin (German Edition)
Geschichte“, begann er vorsichtig.
„Ich habe Zeit“, antwortete der Abt und nickte Robert auffordernd zu.
„Die Wege des Herrn sind unergründlich, und es ist nicht schwer zu erkennen, dass es etwas gibt, das Euch schwer auf der Seele liegt. Vor mir könnt Ihr beruhigt reden. Gott ist mein Zeuge, dass nichts von dem, was Ihr mir erzählt, aus diesem Raum dringen wird.“
Robert atmete noch einmal tief durch. Dann erzählte er dem Abt die ganze Geschichte.
Als er endete, war es bereits später Vormittag, und dicke Regentropfen prasselten gegen die Fenster.
Während des Erzählens war es ihm gewesen, als ob er alles noch einmal erleben würde. Jetzt trafen sich die Augen des Abtes mit den seinen.
„Ich habe gewusst, dass es kein Zufall war, der Euch in diese abgelegene Abtei geführt hat, denn in den letzten Nächten hatte ich wieder diese seltsamen Träume“, erklärte er Robert und fuhr sich dabei mit der Hand über die Stirn, als könne er mit dieser Bewegung auch die Erinnerung an Letztere beiseiteschieben.
Robert sah ihn erstaunt an. Er verstand nicht, was ihm der Abt mit seinen Worten sagen wollte.
„Ich werde es Euch erklären, doch dazu muss ich Euch bitten, mir in die Kapelle zu folgen. Zuvor jedoch werdet Ihr mir Euer Wort geben, dass Ihr mit niemandem über das reden werdet, was Ihr gleich zu sehen bekommt, denn dies ist nur wenigen Auserwählten vorbehalten.“
Die Augen des Abtes bohrten sich in die seinen, als wollten sie ihm bis auf den Grund der Seele schauen. Robert tat wie ihm geheißen und hob bereitwillig die rechte Hand.
„Ich schwöre es bei Gott, unserem Herrn.“ Abt Simon nickte zufrieden.
„Ich hatte schon vor Eurem Bericht von dem Mädchen, von dem Ihr mir gerade erzählt habt, gehört. Die Gerüchte über ihre wundersamen Heilkräfte haben sich bis hierher und noch viel weiter verbreitet, als Ihr ahnen könnt“, bemerkte er, als sie nebeneinander über den Hof gingen.
Neugierige Blicke folgten ihnen. Das eintönige Klosterleben führte dazu, das allem, was nicht Gewohnheit war, eine besondere Bedeutung zukam, und die meisten der Mönche waren begierig darauf, nur ja nichts von dem zu verpassen, was um sie herum vorging.
Die Kapelle war leer, denn die Mönche gingen um diese Zeit ihrer jeweiligen Arbeit nach, und so folgte Robert Abt Simon bis zum steinernen Altar, der auf einer runden, mit Rosetten verzierten Säule stand.
Ihre Schritte verhallten in dem hohen einschiffigen Raum. Dann war es still.
In einer Nische links hinter dem Altar stand eine goldbemalte Madonna, die von einigen Aposteln umringt war. Ihr zur Seite stand eine weitere Frauengestalt, deren Gesicht im Gegensatz zu dem der anderen Figuren nahezu weiß war und die Robert vorher bei der Prim gar nicht aufgefallen war. Die Frau hielt ein Mädchen an der Hand, dessen Haare sich bis zur Taille hinab kringelten.
Etwas an ihr erinnerte ihn an Marie. Sofort stieg die Sehnsucht in ihm hoch. Er vergaß den Abt und begann mit offenen Augen zu träumen. In wenigen Tagen würde er endlich bei ihr sein, und dann konnte nichts und niemand sie mehr trennen.
Ein seltsames Knirschen riss ihn unsanft aus seinen Gedanken. Mit einem kräftigen Ruck hatte der Abt eine der steinernen Rosetten auf der Säule bewegt. Ungläubig sah Robert, wie sich der Altar zu drehen begann und den Blick auf eine schmale Öffnung freigab, die gerade breit und lang genug war, um einen erwachsenen Mann einzulassen.
Robert beugte sich neugierig über die Öffnung und konnte den Absatz einer Treppe erkennen, die steil nach unten in die Finsternis hinabführte.
Der Abt entzündete eine Fackel und ließ Robert an sich vorübergehen. Dann tastete er die Wand ab, worauf sich die Öffnung wie von Zauberhand wieder über ihnen schloss. Es war wie ein Wunder. Die Wände auf beiden Seiten des Ganges bestanden aus dicken Steinquadern und schienen bereits vor dem Bau des Klosters angelegt worden zu sein.
Ein Schauer lief Robert über den Rücken, und er fragte sich, was ihm der Abt wohl zu zeigen hatte. Vorsichtig tasteten sich seine Füße die Stufen hinab. Als sie das Ende der Treppe erreicht hatten, sah Robert im Schein der Fackel einen schmalen Gang, der sie weiter in die Dunkelheit hineinführte.
Mit klopfendem Herzen folgte er dem Abt bis zu einer Stelle, an der sich der Gang öffnete und in eine Kammer mündete, in der sich, abgesehen von einem Holzkreuz, einem Becken mit Weihwasser und einem schlichten Sarkophag, nichts weiter
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