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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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bereitwillig Auskunft gab.
    Marie war ebenso erschrocken über die Grausamkeit Enguerrands wie alle anderen. Unwillkürlich tauchte Ottos Bild wieder vor ihr auf, und sie schickte ein stilles Gebet nach oben.
    Während um sie herum nun die ersten aufgeregten Kommentare zu hören waren, zupfte Gilles Marie unauffällig am Ärmel ihres Kleides. Die Gelegenheit war günstig, denn in all der Aufregung, die jetzt herrschte, achtete niemand mehr auf ihn und Marie.
    „Kannst du noch eine Neuigkeit vertragen?“, wollte er lächelnd wissen. Marie sah ihn zunächst verwundert an, nickte dann aber unmerklich mit dem Kopf.
    „Der junge Graf ist zurück“, flüsterte Gilles. „Er erwartet dich in der Kammer vor dem Lagerraum mit den Fischfässern, Marie.“
    Einen Moment lang sagte Marie gar nichts, sondern stand nur da und schaute Gilles an, als ob sie ihn nicht verstanden hätte. Dann aber trat auf einmal ein Leuchten in ihre Augen, das Gilles noch nie zuvor an ihr gesehen hatte.
    „Ist das wahr?“, vergewisserte sie sich. „Robert ist wirklich hier?“ Worauf Gilles ihr gerührt über die Wange strich und ihre Frage mit einem leisen Ja beantwortete.
    „Du solltest dich beeilen, bevor die anderen etwas davon mitbekommen“, fuhr er mit belegter Stimme fort und sah ihr nach, als sie sich daraufhin umdrehte und aus der Küche rannte.
    Marie lief die hohen Stufen zu den Vorratsräumen hinab, und das Herz klopfte ihr dabei bis zum Hals. Robert hatte sein Versprechen also wahr gemacht und war zurückgekommen, um sie zu holen.
    Vor der Kammer blieb sie stehen. In wenigen Augenblicken würde sie ihn sehen. Wie lange hatte sie nur auf diesen Augenblick gewartet? Und wie merkwürdig kam ihr dieser Moment nun vor, obwohl sie ihn doch die ganze Zeit über herbeigesehnt hatte.
    Sie holte noch einmal tief Luft, dann zog sie entschlossen die Türe auf.
    Robert blickte auf und war seinerseits unfähig, sich zu bewegen. Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er gleichzeitig jedes Detail an Marie wahrnahm. War es möglich, dass sie, seitdem er sie zuletzt gesehen hatte, nochmals schöner geworden war, oder kam ihm das nur so vor? Ganz sicher war jedoch aus dem schüchternen jungen Mädchen mittlerweile eine Frau geworden. Ihre Haut, ihre Haare, die Augen, der Mund. Das alles war ihm so vertraut und wirkte doch verändert und neu.
    Von ihrer Erscheinung noch immer völlig gebannt, sah er ihr entgegen, als sie, wie es ihm schien, unendlich langsam auf ihn zukam.
    Da kam plötzlich Bewegung in ihn. Er sprang auf und zog sie ungestüm in seine Arme. Wie wild begannen sie sich unter Tränen und Lachen zu küssen, sanken auf den Boden hinab und konnten nicht aufhören, sich immer und immer wieder einander versichernd zu berühren, bis sie schließlich völlig erschöpft waren und eng umschlungen, still und ohne sich zu bewegen, nebeneinander liegen blieben.
    Nach einer Weile sahen sie sich an, vorsichtig und forschend, begleitet von der heimlichen Angst, dass die lange Trennung etwas zwischen ihnen verändert haben könnte.
    Marie stellte fest, dass Roberts Gesicht kantiger geworden war und seine Rundungen verloren hatte. Zu all dem, was ihr an ihm vertraut war, hatte sich etwas Unbekanntes, etwas Fremdes gesellt, und seine hellen Augen, in denen sie früher seine Gefühle so gut hatte lesen können, wirkten seltsam verschlossen.
    Zwischen all diese verwirrenden Eindrücke und Gedanken drängten sich die Bilder von der Geburt. Sie versuchte, sie fortzuschieben, doch es gelang ihr nur teilweise, bis Robert ihr Gesicht sanft mit seinen Händen umfasste und sie näher zu sich heranzog.
    Lange sahen sie sich in die Augen, dann beugte Robert sich vor, und ihre Lippen fanden sich erneut zu einem innigen Kuss.
    Die Welt um sie herum löste sich in luftige Schleier auf.
    Alles war unwirklich und real zugleich. Robert setzte einige Male zum Sprechen an, doch jedes Mal versagte ihm die Stimme. Es gab keine Worte, die den brennenden Sturm der Gefühle ausdrücken konnten, die in seinem Inneren tobten.
    Die Dämmerung brach bereits herein, als Robert zärtlich Maries Hand nahm. „Ich liebe Euch und möchte lieber sterben, als noch einmal von Euch getrennt zu sein.“
    Seine Worte zerstörten den luftigen Traum.
    Marie drehte ihren Kopf zur Seite. Die Wirklichkeit hatte sie eingeholt, und die Wirklichkeit war, dass sie sich wieder voneinander trennen mussten, denn sie war die Gefangene des Herrn von Coucy und würde es immer bleiben. Daran

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