Die Bluterbin (German Edition)
müssen für ihn die Kammer fegen“, rief Ludolf übermütig, der mit seinen vierzehn Jahren etwas größer und kräftiger als seine beiden Kameraden war.
Mit abgebrochenen Ästen in der Hand liefen sie durch den an die Abtei angrenzenden Wald und stocherten lautstark im Unterholz herum, um möglichst viele Tiere aufzuscheuchen. Man musste schon sehr geschickt und treffsicher sein, wollte man einen der aufgeschreckten Hasen treffen, die, sobald sie in Panik gerieten, immer wieder Haken schlugen und die bereits eingeschlagene Richtung änderten, doch die Jungen gaben nicht auf. Während jeweils einer von ihnen versuchte, die Tiere aus ihrem Unterschlupf zu treiben, bewegten sich die beiden anderen mit gespannten Bögen in der Hand vorwärts.
Ludolf erzielte als Erster einen Treffer. Stolz rannte er zu dem erlegten Hasen, zog seinen Pfeil aus dem Kadaver heraus und befestigte seine Beute am Gürtel. Nur wenig später gelang es auch Kuno, einen Hasen abzuschießen. Lediglich der blonde Philipp hatte noch kein Jagdglück gehabt. Vom Ehrgeiz gepackt, lief er voran, den gespannten Bogen dabei fest umklammert.
Nicht weit von ihm entfernt duckte sich ein Hase eng in eine Kuhle des Waldbodens, der sich farblich kaum von seinem Fell unterschied. Triumphierend schlich sich Philipp näher an ihn heran. Der verzweifelte Satz, mit dem das Tier plötzlich vor ihm aufsprang, kam jedoch so unerwartet, dass er im ersten Moment nicht reagierte. Ludolf war schneller als er, verfehlte den Hasen aber um Haaresbreite. Philipp, der sich wieder gefasst hatte, nutzte seine Chance und zielte nunmehr sicher und überlegt auf das fliehende Tier.
Um keinen Preis wollte er sich den Freunden gegenüber eine Blöße geben. Mit ruhiger Hand schoss er seinen Pfeil ab. Der Hase überschlug sich durch die Wucht des Pfeils, rappelte sich aber wieder auf und rannte weiter. Ungläubig starrte Philipp dem Tier nach. Er war sich vollkommen sicher gewesen, einen tödlichen Schuss abgegeben zu haben.
Laut fluchend setzte er dem Hasen nach, nicht bereit, ihn entkommen zu lassen.
„Ich krieg dich schon noch, du blödes Vieh“, murmelte er und war dabei auf sich selbst wütend, weil er nicht besser getroffen hatte.
Vom Jagdfieber gepackt, folgten die Jungen dem verletzten Tier und ahnten dabei nicht, in welche Gefahr sie sich begaben.
Ein mächtiger Hirsch brach voller Panik durch das Unterholz und stürmte direkt auf die Jungen zu. Erst im letzten Moment änderte er seine Richtung. Eine laut kläffende Hundemeute folgte ihm auf dem Fuß. Erschrocken blieben die Jungen stehen.
Der Waldboden erbebte plötzlich unter den trommelnden Hufen von Pferden, die wie aus dem Nichts auftauchten und an ihnen vorbei den Hunden hinterherjagten. Der verletzte Hase war vergessen.
„Ich habe mich fast zu Tode erschrocken, die sind ja gemeingefährlich“, stieß Kuno hervor. Er hatte sich als Erster wieder gefasst, obwohl sein Gesicht noch immer ganz bleich vor Schreck war.
„Die hätten uns beinahe über den Haufen geritten.“
Die Jungen sahen sich an. Trotz des Schreckens, der allen dreien noch in den Gliedern saß, war das soeben Erlebte aufregend für sie gewesen.
„Sobald wir wieder zu Hause sind, werde ich meinen Vater bitten, mich an der Jagd teilnehmen zu lassen“, meinte Philipp mit funkelnden Augen. „Einen Hirsch zu jagen ist doch etwas ganz anderes als hinter ein paar blöden Hasen herzulaufen.“
„Wir sollten dem Abt davon berichten, dass sich Jäger in seinem Wald herumtreiben und Rotwild schießen“, bemerkte Ludolf wütend darüber, dass die Jäger ihn so erschreckt hatten.
„In seinem Wald?“ Die Stimme, die hinter ihnen ertönte, troff vor Ironie.
Die Jungen fuhren herum und starrten in die kalten Augen Enguerrands von Coucy. Sie hatten ihn nicht kommen hören.
Auf den ersten Blick erkannten sie, dass es sich bei dem grobschlächtigen, finsteren Mann vor ihnen um einen reichen Edelmann handeln musste. Allein schon das prächtige Pferd war ebenso wie das Zaumzeug und die Steigbügel, die mit silbernen Beschlägen verziert waren, ein Vermögen wert.
„Es ist mein Wald, in dem ihr euch befindet, und es sind meine Hasen, die ihr am Gürtel tragt“, setzte er mit düsterer Miene hinzu.
Enguerrand war noch immer wütend darüber, den Hirsch nicht getroffen zu haben, doch sein Pferd war genau in dem Moment über eine Wurzel gestolpert, als die Sehne seines Bogens zurückgeschnellt war.
Hinter ihm erschienen weitere
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