Die Bluterbin (German Edition)
unbehelligt in die Stadt zu kommen.“
König Ludwig nickte. Der stechende Schmerz in seiner Brust nahm mit jedem Atemzug zu.
Mit der Hilfe seines Seneschalls gelang es ihm jedoch schließlich, wieder auf sein Pferd zu steigen.
Joinville nahm dessen Zügel und führte König Ludwigs Pferd zusammen mit seinem eigenen in die Stadt hinein. Die Wachen an dem Tor starrten sie neugierig an, ließen sie aber unbehelligt passieren.
„Bringt mich zur Kathedrale“, befahl ihm Ludwig.
Joinville leistete dem Befehl Folge, sah sich aber immer wieder besorgt nach dem König um. Denn obwohl sich Ludwig große Mühe gab, vor ihm zu verbergen, dass er sich kaum im Sattel halten konnte, ließ Joinville sich nicht täuschen.
„Sollten wir nicht besser einen Bader aufsuchen? Er wird Euch etwas gegen Eure Schmerzen geben können“, schlug er vor.
König Ludwig bedachte ihn daraufhin mit einem strengen Blick.
„Wenn es Gottes Wille ist, dass ich Schmerzen leide, werde ich sie auch ertragen. Davon abgesehen würde meine Seele in den Badestuben, zwischen Huren und anderem lasterhaften Volk noch größere Schmerzen leiden, als es mein Körper jetzt schon tut“, erwiderte er eigensinnig.
Joinville, der seinen Herrn nur allzu gut kannte, gab es auf. Er wusste, dass jeder weitere Versuch, den König zur Vernunft zu bringen, vergeblich sein würde.
Als die Kathedrale kurz danach vor ihnen auftauchte, war Joinville überwältigt von den gewaltigen Ausmaßen und der Schönheit des mächtigen Bauwerkes, dessen Türme bis in den Himmel zu reichen schienen, doch der König ließ ihm keine Zeit, es lange zu bewundern.
„Helft mir vom Pferd“, flüsterte er. Sein Gesicht war bleich und ließ befürchten, dass er sich am Rand der Bewusstlosigkeit befand.
Joinville rief einen der herumlungernden Gassenjungen zu sich heran und befahl ihm, die Pferde in die klösterlichen Ställe zu bringen. Streng sah er den Jungen an.
„Wenn auch nur das kleinste Teil eines Riemens fehlt, werde ich dich vierteilen lassen. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich dich finden werde, egal, wo du dich verkriechst. Wenn du hingegen deine Sache gut machst, erhältst du einen Sous.“
Der König stützte sich schwer auf Joinville, als sie gemeinsam durch das hohe Portal traten und das Mittelschiff durchquerten. Die Staffelung der Seitenschiffe gab dem Raum mehr Licht, und der Wechsel zwischen Fenstern und Triforien sorgte dafür, dass die Helligkeit durch die wachsende Fenstergröße und die weiter nach innen gerückten Fenster mit jedem Schritt, den sie machten, zunahm.
Marie hatte ihre Gebete beendet und sich auf den Weg zum Ausgang begeben. Mit gesenktem Blick und tief in Gedanken versunken betrat sie den Mittelgang. Gleich würde sie Robert wiedersehen, und die Vorfreude darauf beschwingte sie.
Erst im letzten Moment bemerkte sie die beiden Männer, die ihr entgegenkamen. Sie trat einen Schritt zur Seite, um sie passieren zu lassen. König Ludwig konnte nicht anders, als sie bewundernd anzusehen. Ihre graziösen Bewegungen und ihre helle, fast weiße Haut verliehen ihr ein engelsgleiches Aussehen und eine Unschuld, wie er sie nie zuvor an einem Mädchen erblickt hatte.
Marie hielt ihre Augen züchtig zu Boden gesenkt. Erst als der König vor ihr stehen blieb, sah sie auf.
Ihre Augen trafen auf die seinen, und ihr Blick ging ihm durch und durch. Ludwig hatte das Gefühl, in den schimmernden Augen des Mädchens zu versinken. Er fühlte sich zutiefst bewegt und bemerkte voller Staunen, wie seine unerträglichen Schmerzen langsam nachließen und all seine Ängste verschwanden. Eine nie erlebte Leichtigkeit erfüllte ihn, während er hilflos und unfähig zu begreifen mit ansehen musste, wie das unschuldige, liebreizende Gesicht sich vor seinen Augen zu einer grotesk anzusehenden Grimasse zu verzerren begann.
Lautlos sank das Mädchen zu Boden, wo es, von immer neuen Krämpfen geschüttelt, liegen blieb.
Ludwig starrte nach Fassung ringend auf das zuckende Mädchen, dem heller Schaum aus den zusammengepressten Mundwinkeln rann.
Auch Joinville schüttelte ungläubig den Kopf. Die Verwandlung des Mädchens von einem unschuldigen Geschöpf in ein hässliches Wesen, das sich wie ein Wurm auf dem Boden wand, war zu viel für ihn.
König Ludwig legte ihm fest die rechte Hand auf die Schulter.
„Gebt Euch zu erkennen und lasst sofort nach dem besten Medicus in der Stadt schicken. Ich will, dass dieses Mädchen geheilt wird“, befahl er. Joinville
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