Die Bluterbin (German Edition)
gelang es ihm kaum noch, seinen Blick von ihr zu wenden. Seine Kehle wurde ganz trocken vor Aufregung. Er schluckte hart. Wenn dieses Mädchen tatsächlich Wunder bewirken konnte, musste er es unbedingt in seine Gewalt bringen, um Genaueres über ihre geheimnisvollen Kräfte herauszufinden, denn weder der König noch sein Seneschall schienen gewillt zu sein, ihm Näheres zu berichten, aber das würde ihnen nichts nutzen. Sobald der König wieder abgereist war, würde er seine Agenten einsetzen, die er überall in der Stadt hatte, und dann würde er weitersehen.
Ludwig, der indessen nichts von den Plänen des Bischofs ahnte, sah Robert gedankenverloren nach, bis dieser die Kathedrale verlassen hatte. Erst dann wandte er sich abermals dem Bischof zu.
Als er in die flackernden, kalten Augen Radulfus’ sah, beschloss er, dem Geistlichen eine Lehre zu erteilen, die dieser nicht so schnell wieder vergessen würde.
„Wir sind nunmehr bereit, Eure Gastfreundschaft anzunehmen, doch ich möchte Euch bitten, unsere Anwesenheit vorerst noch geheim zu halten“, sagte er kühl.
Radulfus schien erfreut.
„Dann darf ich Euch bitten, mir zu folgen.“
Er führte den König und seinen Seneschall über den Kathedralenvorplatz zu dem gegenüberliegenden Palast des Erzbischofs. Durch den bischöflichen Empfangsraum, der an manchen Tagen für Bittsteller und Gesandte geöffnet war, gelangte man durch eine mit aufwändigem Schnitzwerk verzierte Eichentüre in die Kemenate, die von einem riesigen Kamin beherrscht wurde.
Dass König Ludwig unerkannt bleiben wollte, kam Radulfus nur gelegen, denn dann würden sie allein zusammen speisen, und der König hätte mehr Zeit und könnte sich ungestört mit ihm unterhalten.
Als Erzbistum unterstand Bourges allein dem König, doch da dieser den größten Teil des Jahres mit seinem Gefolge durch die Lande reiste und nur schwer zu erreichen war, wurden die reichen Bürger der Stadt der Kirche gegenüber zunehmend unverschämter. Ständig stellten sie neue Forderungen an die Kirchenoberhäupter, versuchten aber andererseits durch alle möglichen Tricks, diese um den ihnen zustehenden Anteil an ihren immer reicher ausfallenden Gewinnen zu betrügen.
Die Krönung von allem war das neue Rathaus, dessen Bau die Bürger ohne Zustimmung der Kirche mit einer selbstverständlichen Überheblichkeit planten, die in Radulfus’ Augen an Unverschämtheit grenzte. Es wurde höchste Zeit, ihrem Treiben endlich einen Riegel vorzuschieben und dadurch zu verhindern, dass dem Erzbistum ein noch größerer Schaden entstand, als es bereits der Fall war.
Der Bischof betrachtete das unerwartete Auftauchen des Königs als ein gutes Zeichen und hoffte, dass Ludwig, dem größte Frömmigkeit nachgesagt wurde, ihn in dieser heiklen Angelegenheit unterstützen würde.
Er war so sehr mit sich und seinen Gedanken beschäftigt, dass er nicht einmal bemerkte, wie sich das Gesicht des Königs beim Anblick der mit kostbarem Tuch und Teppichen geschmückten Bischofsgemächer verdüsterte.
Das Innere der Räume erinnerte mehr an einen Palast als an die karge Zelle eines Mannes, der sein Leben dem Dienst Gottes geweiht hatte.
Radulfus geleitete Ludwig zu einem mit weißen Wolfsfellen belegten Faltstuhl am Kopfende der Tafel und nahm selbst an der linken Seite des Königs Platz, während er Joinville dazu aufforderte, sich rechter Hand von Ludwig niederzulassen.
Die Diener schienen bereits über den hohen Besuch informiert zu sein, denn sie brachten, kaum dass sich die drei Männer niedergelassen hatten, Wein, Obst und Brot auf den Tisch. Zwei weitere Diener folgten mit kaltem Braten, duftendem Schinken und geräuchertem Fisch. Es dauerte nicht lange, da bog sich der Tisch unter den mit allerlei Leckereien gefüllten Silberplatten.
König Ludwig runzelte unwillig die Stirn. Es sah ganz danach aus, als würde sich in diesem Palast niemand um die Fastenzeit scheren.
Sein Blick schweifte über die leeren Plätze an der langen Tafel, und in seine Augen trat ein spöttisches Funkeln, als er sich zu Radulfus hinüberbeugte.
„Erwartet Ihr vielleicht noch weitere Gäste an dieser Tafel oder werden wir heute Abend unter uns bleiben?“
Der Bischof war überrascht. Wünschte der König etwa doch nicht, mit ihm allein zu sein? Die Enttäuschung darüber stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben.
„Ich erwarte keine weiteren Gäste mehr, und ich glaubte Euren Worten entnehmen zu können, dass Ihr unerkannt bleiben
Weitere Kostenlose Bücher